14.04.2023 Wolfgang Sievernich

Von der Umwelt inspiriert: Naturfasern und Holz im Fahrzeugbau

Während Autos aus Holz vorwiegend im Kinderzimmer zu finden sind, hat auch die Autoindustrie Gefallen am Rohstoff aus europäischen Wäldern gefunden. Und aus Flachspflanzenfasern lassen sich neben Kleidung und Öl auch Karosserieelemente herstellen. Wir haben uns beide Konzepte angesehen und hinterfragt, ob sie tatsächlich umsetzbar wären.


Schon Henry Ford beschäftigte sich Mitte des 20. Jahrhunderts mit der Frage, wie Autos leichter werden könnten. Mit dem „Auto, das vom Acker wächst“ präsentierte er 1941 einen Prototyp, dessen Karosserie aus Weizenstroh, Hanf und Sisal bestand und rund 450 Kilogramm leichter sein sollte als vergleichbare Karosserien aus Metall.

 

Zu Präsentationszwecken schlug Henry Ford im Jahr 1941 mit einem Hammer schwungvoll auf den Kofferraumdeckel eines Prototyps ein, dessen Karosserie aus Naturfasern bestand. Foto: Ford

In Bezug auf Leichtbau war auch der Trabant 601 aus der ehemaligen DDR wegweisend. Seine mit Baumwollfasern verstärkte Kunststoffkarosserie ermöglichte Leergewichte von 620 Kilo (Limousine). Und selbst eines der ersten E-Autos der Neuzeit, der BMW i3, setzte ab 2013 konsequent auf leichte Materialien. Um das hohe Batteriegewicht zu kompensieren, verwendete BMW erdölbasierten, kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff (Karbon) für die Fahrgastzelle und konnte damit das Leergewicht zu Beginn der Baureihe auf etwa 1.200 Kilo drücken. Mit einem Grundpreis von knapp 35.000 Euro war der i3 für den Massenmarkt aber zu teuer. Preistreiber war das Karbon. Nicht umsonst setzte Volkswagen ab 2019 bei seinem E-Auto ID.3 auf eine schwerere, aber auch günstigere Stahlkarosserie. Ende der Geschichte? Nicht so voreilig!
Denn spätestens mit dem Ukraine-Krieg und der daraus resultierenden Energiekrise stehen energieintensive Rohstoffe wie Stahl, Aluminium oder Karbon auf dem Prüfstand und lassen Raum für alternative Ideen.

Naturfasern könnten Karbon ersetzen

Eine dieser Ideen nutzt der Automobilhersteller Porsche bereits seit dem Jahr 2020 in Kleinserie im Motorsport. Beim Porsche 718 Cayman GT4 Clubsport MR bestehen Front- und Heckschürze, Buglippe, Front- und Heckdeckel sowie Kotflügel und Diffusor inklusive Aerodynamik-Finnen aus Naturfaser-Verbundwerkstoff (Nfk) und ersetzen Metall- und Kunststoff-Spritzguss-Komponenten des Serienfahrzeugs (Foto oben). Herstellerangaben zufolge besitzen die recycelbaren Naturfaser-Verbundwerkstoffe bei nicht strukturellen, also nicht tragfähigen Bauteilen hinsichtlich Gewicht und Steifigkeit ähnliche Eigenschaften wie fossile Kohlefaser-Verbundwerkstoffe (CfK). Als Grundlage der Naturfaser-Verbundmaterialien dienen landwirtschaftlich gewonnene Flachsfasern. Die Komponenten entstehen einzeln im sogenannten Vakuum-Infusionsverfahren. Dabei wird trockenes Fasermaterial in eine Form eingelegt, vakuumiert und mit Harz getränkt. Nach einer 24-stündigen Trocknungsphase ist das Bauteil fertig. Vorteil: Porsche zufolge lässt sich Nfk verglichen mit Cfk preisgünstiger und mit geringerem Energieeinsatz herstellen. Zugleich soll es sich durch bessere Dämpfungseigenschaften gegenüber Vibrationen auszeichnen und bei einem Unfall in weniger kleine und scharfe Teile zersplittern. Nachteil: Verglichen mit der sekündlichen Herstellung von Stahl-Bauteilen, dauert die Fertigung von Verbundwerkstoffen generell selbst im industriellen Maßstab signifikant länger.

Zu diesem Schluss kommt auch Professor Dr. Hartmut Zoppke von der Hochschule Trier. Der Wissenschaftler betreut seit dem Jahr 2017 die Entwicklung des studentischen Projekts Protron Evolution. Dabei handelt es sich um ein 550 Kilogramm leichtes elektrisches Nahverkehrsfahrzeug für 2+2 Personen mit einer auf 100 km/h begrenzten Höchstgeschwindigkeit und einer Mindestreichweite von 100 Kilometern für den stadtnahen Pendlerverkehr sowie kürzere Überlandstrecken. 

Die Hochschule Trier verwendet Flachs für die Sicherheitszelle des Konzeptfahrzeugs Protron Evolution. Foto: Hochschule Trier

Energieersparnis als Grund für Leichtbau

Anders als bei Porsche bestehen beim Hochschul-Projekt auch Fahrzeugsicherheitszelle und einzelne Crashelemente aus Naturfasern. „Will man eine Struktur wie eine Fahrzeugsicherheitszelle bauen, die extrem leicht ist und eine hohe Festigkeit und Steifigkeit haben soll, liefern Kohlenstofffaser die optimalen Werte“, sagt Professor Zoppke. Der Grund für Leichtbau sei aber die Energieersparnis. Dabei müsse man bilanzieren, wie viel mehr Energieaufwand man in die Produktion eines Fahrzeugs hineinstecke und wie hoch der Energieaufwand über die Nutzungsphase sei. Bei einem Fahrzeug aus Cfk müsse man etwa 350.000 Kilometer fahren, bis man wieder energieneutral sei. „Die Kohlenstofffaser benötigt zur Herstellung so viel Energie, dass man das kaum in einem normalen Fahrzeugleben wieder einsparen kann“, erklärt Professor Zoppke.


Der Rohstoff Flachs ist natürlich, wächst schnell nach und lässt sich mit deutlich geringerem Energieaufwand zur technischen Faser verarbeiten.

Prof. Dr. Hartmut Zoppke, Hochschule Trier


Hier schlägt die Stunde der Naturfaser: „Der Rohstoff Flachs ist natürlich, wächst schnell nach und lässt sich mit deutlich geringerem Energieaufwand zur technischen Faser verarbeiten.“ Das energetische Verhältnis bei der Herstellung von einem Kilogramm Kohlenstofffaser zu einem Kilogramm Flachsfaser betrage ungefähr einhundert zu eins, sagt Professor Zoppke. Um eine ausreichend hohe passive Sicherheit bei möglichst geringem Fahrzeuggewicht zu gewährleisten, verwendeten die Studierenden für die Sicherheitszelle ein Naturfaserverbund-Monocoque, das den Erfordernissen der EU-Crashtestbestimmungen entspricht. Im Zuge der Entwicklung stellten die Forscher aber auch fest, dass sich Naturfasern nicht unbedingt für alle Bauteile im Auto anbieten. So ließen sich hochbelastete Crashabsorber in der Front zwar aus Naturfasern formen, seien aber bei gleicher Festigkeit und Steifigkeit im Vergleich zu Karbon aufgrund der geringeren spezifischen Materialkennwerte laut Professor Zoppke auch dreimal so schwer. „Der Grund, dass wir alles so konsequent aus Naturfasern herstellen, ist, dass wir zeigen wollen, was man mit diesem Werkstoff machen kann. Wenn man in eine Serienfertigung gehen würde, in der schnelle Taktzeiten eine Rolle spielen, würde man das ein oder andere Bauteil sicher auch aus anderen Werkstoffen fertigen“, sagt er.

Künftige Konzentration auf Laubhölzer

Für Dr. Ulrich Müller vom Institut für Holztechnologie und Nachwachsende Rohstoffe der Universität für Bodenkultur in Wien dürfte es sich dabei auch gerne um den regenerativen Rohstoff Holz handeln. Von dem wurden im Wirtschaftsjahr 2021 in Deutschland 82,9 Millionen Kubikmeter eingeschlagen. Aufgrund des Klimawandels und des starken Befalls mit Insekten wie dem Borkenkäfer musste vor allem die Nadelholzart Fichte in größerem Umfang in Nordeuropa gefällt werden. Die Forstwirtschaft will deshalb in Zukunft verstärkt Laubhölzer anpflanzen, die in einigen Jahrzehnten in größerem Umfang wirtschaftlich nachhaltig vermarktet werden müssen – beispielsweise als Werkstoff für Autos. „Am Anfang hat uns die Autoindustrie ausgelacht, heute lacht keiner mehr“, sagt Müller. Mit Volkswagen hat die Universität einen Partner gewonnen, der inzwischen sogar mit einer eigenen Arbeitsgruppe den Rohstoff erforscht.


Wir haben es geschafft, das Gewicht des Seitenaufprallträgers um 30 Prozent zu senken und den CO2-Fußabdruck um 30 Prozent zu verbessern.

– Dr. Ulrich Müller, Wissenschaftlicher Leiter, Universität für Bodenkultur, Wien


„Unser Team hat etwa für die beiden Laubholzarten Birke und Buche ein breites Material-screening durchgeführt und zehntausende Datenpunkte gesammelt, damit das Verhalten des Werkstoffs insbesondere im Crashfall nachvollzogen werden kann“, sagt Müller. Dabei hätte sich vornehmlich die Birke als ideale Holzart herauskristallisiert. Birke sei im Zweiten Weltkrieg als Standard-Holzart für Kampfflugzeuge genutzt worden. „Sie wurde zur Beplankung von Tragflächen und Rümpfen sowie zur Verstärkung eingesetzt, da sie das beste Festigkeits- und Steifigkeitsdichteverhältnis aller einheimischen Hölzer besitzt“, erläutert Müller.

 

Der Rahmen des elektrisch angetriebenen Toyota Setsuna besteht aus japanischer Birke. Das Konzeptfahrzeug wurde mit Hilfe traditioneller Tischlertechnik ohne Schrauben und Nägel gebaut. Foto: Toyota
Ein aus Holz gefertigter Seitenaufprallschutz kann beim Aufprall die gleiche Menge Energie absorbieren wie ein Bauteil aus Stahl. Foto: Universität für Bodenkultur

Holz ist bedeutend leichter als Stahl

Doch Holz eignet sich nicht für alle Komponenten am Fahrzeug. „Natürlich kann man ein Fahrwerk auch aus Holz bauen, aber warum soll man Holz für etwas vergewaltigen, was es nur leidlich kann? Wir setzen Holz dort ein, wo es seine Leistungsfähigkeit entfalten kann.“ Dafür kommen etwa Sicherheitsstrukturen wie beim Seitenaufprallträger in den Fronttüren infrage. Den stellt die Autoindustrie bislang aus gewichtsoptimiertem Hochleistungsstahl her. Dr. Müller und sein Team haben ihn aus Furnierholzschichten konstruiert und festgestellt, dass er in Kombination mit einem auflaminierten Naturfasergeflecht und verstärktem Wabenkern beim Unfall die gleiche Menge an Energie absorbiert wie das Stahlteil. Der Clou: „Wir haben es geschafft, das Gewicht des Seitenaufprallträgers um rund 30 Prozent zu senken und den CO2-Fußabdruck um 30 Prozent zu verbessern.“ Das macht die Autoindustrie natürlich hellhörig. Der größte Vorteil von Holz ist sein vergleichsweise geringes Gewicht. Ein Kubikzentimeter wiegt zwischen 0,5 und 0,8 Gramm, Aluminium kommt auf 2,7 und Stahl sogar auf acht Gramm.

Dennoch ist das industriell produzierte Stahlteil für die Hersteller bislang noch günstiger als Holz, was sich bei steigenden Energiepreisen in Zukunft allerdings ändern könnte.

 

Bei einem Schneemobil von Mattro konnten durch Holz statt Stahl im Chassis rund 140 Kilogramm Gewicht eingespart werden. Foto: Mattro

Titelfoto: Porsche


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