Eine erholsame Rundreise durch Nordwales
Nordwales ist ein mystisches Land voller Legenden und Überraschungen. Vom Wandern im Dee Valley über eine Dampfzugfahrt durch den Snowdonia-Nationalpark bis zur Insel Angelsey, überall begegnet einem das Cymraeg, die älteste lebendige Sprache Europas.
Mit rund 2.000 Einwohnern ist der nordwalisische Ort Hawarden kein Dorf mehr, aber auch noch keine Kleinstadt. Das macht die Gemeinde nicht weniger attraktiv. Als Teil des Ballungsraumes Deeside liegt man an der Grenze zu England – eine Grenze ist hier allerdings nirgendwo zu sehen. Einzig die Ortsschilder machen deutlich, dass man sich in einer besonderen Ecke der Insel befindet: Sie sind mit Walisisch und Englisch ausgestattet und führen uns vor Augen, dass hier eine alte keltische Sprache gepflegt wird. Hawarden Castle, der einstige Landsitz des Premierministers William Gladstone, ist von herrlichen Parkanlagen umgeben, und der hübsche Ort hat auch mit Sprache und jeder Menge Büchern zu tun. In der „Gladstone’s Library“ finden sich über 250.000 Bücher und Drucksachen zu den Themen Geschichte, Theologie, Literatur, Kultur und Politik. Sie gehört zweifellos zu den schönsten Bibliotheken Britanniens und erinnert Harry-Potter-Fans an die Hogwarts-Bibliothek. Sie kann von jedem genutzt werden. Selbst übernachten lässt es sich hier.
Von Bäumen und Rittern
„Ysiopfachgardiauwrthybontdrosyrafonddyfrdwyynllangollen – The little card shop by the bridge over the river Dyfrdwy in Llangollen“ – heißt ein Souvenirshop an der Castle Street in Llangollen, dem 3.600-Einwohner-Städtchen im Tal des River Dee, das als Tor zum Snowdonia-Nationalpark gilt. Ein wildromantischer Fluss durchstreift ein kleines Tal, eine Klosterruine liegt majestätisch zwischen üppig grünen Wiesen und auf dem Berg über dem Ort thront düster Dinas Brân, die von Krähen bevölkerten Überreste einer Burg aus dem 13. Jahrhundert. Gerade die zu dramatischen Szenerien neigende Natur um Llangollen, die engen Täler, weiten Hochebenen und die stürmisch dahinziehenden Wolken machen die Gegend zum intensiven Naturerlebnis.
Unsere Wanderung beginnt oberhalb von Llangollen, hier führt der Weg in halber Höhe über dem Tal und unterhalb der Trevor Rocks gut einen Kilometer lang den Bergkamm entlang. Eine wunderbare Weitsicht über das gesamte Dee Valley, die Stadt und die Burg stimmt optimistisch. Durch dichtes Heidekraut und kniehohe Farnbüsche geht es in Richtung Norden durch die Ruabon Mountains. Im Osten der Hochebene taucht eine Baumgruppe auf, die Kiefern neigen sich im Wind, als spähten die Ritter der Tafelrunde nach Eindringlingen, die es zu vertreiben gilt: „World’s End, World’s End“. Dann die Stille am Eingang zu einem weiteren Tal, nur die leisen Geräusche der Natur sind zu vernehmen, das Murmeln einer Quelle und ein Bach, der sich zum Dee schlängelt. Nichts Spektakuläres am Ende der Welt, aber tiefe Harmonie, die den Wanderer zurückwirft auf das Wesentliche: Schauen, Atmen, Gehen, Entschleunigen.
Grau, bunt, Blaenau
Ins Staunen gerät man auch in der einstigen „Schieferhauptstadt der Welt“, Blaenau Ffestiniog im Herzen des Snowdonia-Nationalparks. Der Ort gilt heute als Outdoor-Zentrum und hat die Transformation von einer industriellen hin zu einer Ferienregion bravourös vollzogen. Graue Schieferabbruchhalden, spärlich begrünte Bergrücken und überall graue Steinhäuser: Blaenau Ffestiniog hat in den vergangenen Jahren trotzdem sein Graue-Maus-Image abgelegt. Mitgeholfen hat dabei sicher auch die Ernennung zu einem der sechs Gebiete der Schieferlandschaften im Nordwesten von Wales, denen der Status UNESCO-Weltkulturerbestätte zuerkannt wurde. Der Schiefer von Blaenau Ffestiniog wurde einst in aller Welt verwendet, unter anderem auch für das Dach des Kölner Doms. Auf den Dächern der Abraumhalden, den Bergrücken und umliegenden Tälern dominieren heute Mountainbiker und Wandernde, die hier ein ideales Revier vorfinden. Der Klassiker aber bleibt in Blaenau Ffestiniog eine Dampfeisenbahnfahrt mit der „Ffestiniog & Welsh Highland Railways“ nach Porthmadog und zurück auf der historischen Strecke, auf der einst der Schiefer transportiert wurde.
Zentrum der Eisenbahntradition
Lebendig und geschäftig ging es in Porthmadog schon immer zu, einst war die Kleinstadt der größte Schieferverladehafen von Wales, von hier aus wurde die ganze Welt mit Schieferplatten versorgt. In den Blütejahren wie zum Beispiel 1873 wurden von Porthmadog aus über 118.000 Tonnen Schiefer exportiert, dazu wurden über 1.000 Schiffe benötigt, die hier ihre Ware aufnahmen und in die Welt transportierten. Die rasante Entwicklung des Ortes hatte einen Vater: Der Geschäftsmann William Madocks aus Lincolnshire kaufte 1798 hier an der Traeth-Bach-Mündung mehrere Ländereien und ließ einen Deich errichten, um den Feuchtgebieten nutzbares Land abzugewinnen. So entstand auch der natürliche Hafen von Porthmadog, der Hochseeschiffen genügend Tiefgang bot. Madocks war auch verantwortlich für den Bau von Tremadog, einer am Reißbrett geplanten Vorstadt, in der Thomas Edward Lawrence, besser bekannt als Lawrence von Arabien, 1888 das Licht der Welt erblickte.
Seit 1836 liegt am Anfang des Damms die „Ffestiniog & Welsh Highland Railways Station“, Bahnhof der längsten Schmalspurbahn Großbritanniens. Bis 1940 wurde mit ihr vor allem Schiefer transportiert, dann wurde die Strecke stillgelegt. Seit 2011 sind die rund 40 Kilometer von Porthmadog nach Caernarfon für Personenzüge wieder befahrbar, heute nutzen vor allen Touristen die von den hundert Jahre alten Dampflokomotiven gezogenen Waggons durch die pittoreske Berg- und Küstenlandschaft im nordwestlichen Wales. Außerdem dampft die „Ffestiniog Railway“ hinauf nach Blaenau Ffestiniog. Nicht versäumen sollte man auch die kurze Strecke mit der „Welsh Highland Heritage Railway“, die von Porthmadog bis zur Peny-Mount-Junction fährt. John Kerr pflegt seine historischen Dampf- und Dieselloks wie einen Schatz: „Wir stehen in der Verantwortung, die große walisische Eisenbahntradition lebendig zu erhalten. Hier in Porthmadog gelingt uns das eindrucksvoll, das bestätigen uns die Gäste immer wieder.“
Mächtige Burg am Menai Strait
Weiter nördlich liegt die Menaistraße, eine Meerenge, die das walisische Festland und die Insel Anglesey trennt. Zwei Brücken verbinden beide Teile, am östlichen Ende der Insel liegt mit Beaumaris ein viktorianisch anmutendes Seebad, in dem man sich in Ruhe die Meeresluft um die Nase wehen lassen kann und den Genuss der Langsamkeit wiederentdeckt. In Beaumaris – der Name bedeutet so viel wie „schöne Sümpfe“ – steht mit Beaumaris Castle eine der bedeutendsten Burganlagen in Nordwales. Als einzige der Burgen, die Edward I. in Wales errichten ließ, besitzt sie immer noch einen Wassergraben. Rund fünf Kilometer weiter nördlich finden sich mit der Penmon Priory die Überreste einer Klosteranlage aus dem 13. Jahrhundert, in der einst Augustinermönche lebten. Hier findet man, wie überall auf dieser Rundreise durch Nordwales, eine erholsame Ruhe. Auf dem Rückweg Richtung Ausgangspunkt Hawarden lohnt ein Stop im hübschen Conwy: Im Fishermans Chip Shop gibt es großartige Fish and Chips.
ARCD-Reiseservice
- Anreise:
Direktflüge nach Wales gibt es derzeit (Stand: Juni 2024) nicht. Für Nordwales bietet sich der Flughafen Liverpool an. Mit dem eigenen Auto empfiehlt sich die Fähre von Calais nach Dover, dann über London und die M 40 in Richtung Birmingham und weiter nach Nordwales. - Einreise: mit einem für die Dauer des Aufenthalts gültigen Reisepass
- Unterkunftstipp:
Gladstone’s Library in Hawarden, www.gladstoneslibrary.org - Auskünfte:
www.visitwales.com/de,
www.llangollen.org.uk,
www.visitsnowdonia.info/blaenau-ffestiniog,
www.porthmadog.com,
www.beaumaris.com,
www.festrail.co.uk
Titelfoto Jörg Berghoff