06.03.2024 Simone Eber

Beschwingte Naturerlebnisse in Connemara

Mit ihrer wilden Schönheit ist die Region in der Grafschaft Galway goldrichtig für alle, die Irland aktiv und ursprünglich erleben möchten. Ob beim Radeln, Wandern oder Kajakfahren – das Rauschen des Atlantiks ist stets gegenwärtig. Und oft wird es untermalt von einer Prise Musik.


Wir sind auf dem Rückweg von der Westküste zum Dubliner Flughafen und eine wehmütige Abschiedsstimmung macht sich im Minibus breit, als Fahrer Tom zum Mikro greift und einen Song zum Besten gibt: „The Fields of Athenry“. Eine Einlage, die mich zurück zum Beginn unserer Reise nach Connemara bringt. Denn da hatte ich Tom beim Abendessen gefragt, woher er denn komme. Statt einer Antwort erhielt ich die Gegenfrage: „Kennst du den Song ,The Fields of Athenry‘?“ Nein, kannte ich nicht. Aber natürlich folgte sogleich die Aufklärung: In der heimlichen Nationalhymne aus Toms Heimatstadt wird die irische Hungersnot zwischen 1846 und 1849 besungen. Das Lied, das in den 1970er-Jahren von dem Iren Pete St. John geschrieben wurde, erzählt von einem Mann, der, um seine Familie vor dem Hungertod zu retten, Getreide stiehlt und dafür nach Australien deportiert wird. Noch heute wird es unter anderem bei den Spielen der irischen Fußball- und Rugby-Nationalmannschaft von Fans gesungen.

Warum ich diese kleine Episode erwähne? Weil sie so viel über die irische Mentalität verrät: begonnen bei der offenen Art der Menschen über das immer noch prägende nationale Trauma der Hungersnot bis zum hohen Stellenwert der Musik auf der Insel.

Stimmungsvoller Einstieg

Von dem bekommen wir gleich am ersten Abend in Galway einen Eindruck. Wir haben im Ard Bia, einem Restaurant am Ufer des River Corrib, gut gegessen – Lamm, Muscheln, Kabeljau, dazu Bier aus der Connemara-Brauerei. Jetzt bummeln wir über die Ausgehmeile der viertgrößten Stadt Irlands. Fast ein Viertel der rund 80.000 Einwohner sind Studenten, entsprechend quirlig ist die Kneipenszene. Ab 21.30 Uhr, wenn die Essenszeit vorüber ist, räumen Pubs wie Tigh Coli’s und Taaffes die Bühne für Musiker frei. Wir lauschen im Tigh Coli’s dicht gedrängt am Bartresen einer Band mit Geige, Dudelsack, Gitarre und Quetschkommode – und einem stimmgewaltigen Sänger, der das Volkslied „The Wild Rover“, in Deutschland besser bekannt als „An der Nordseeküste“ von Klaus & Klaus, in den schummrigen Raum schmettert.
 

In den Pubs von Galway lässt sich abends irische Live-Musik erleben.. Foto: Simone Eber

Am nächsten Tag fahren wir im Linksverkehr und auf zunehmend kurvigen Straßen weiter Richtung Westküste nach Clifden. Auf den Lough Corrib, den größten See der Republik Irland, folgen zig weitere kleinere. Dazwischen liegen Dörfer mit Häusern aus Granitstein oder mit weißem Anstrich; auch der grüne Connemara-Marmor ist prägend für den Baustil. Die Landschaft wird immer hügeliger, grüner und steiniger, die Besiedelung immer dünner, mit Ausnahme von wenigen touristischen Orten wie Oughterard etwa nach einem Drittel der Strecke.

Was dagegen zunimmt, ist das Weideland mit Pferden, Kühen – und natürlich unzähligen Schafen. Häufigste Rasse in Connemara ist das Schottische Schwarzgesicht, dem die Comicfigur Shaun das Schaf nachempfunden ist. Es ist für das Terrain mit bis zu 700 Meter hohen Gipfeln am besten geeignet und wird hier vor allem für die Fleischproduktion gezüchtet. Neben anspruchslosen Pflanzen wie Stechginster, Wollgras und Margeriten sticht immer wieder der aufgestapelte, schwarze Torf ins Auge. Er wird in mühevoller Arbeit aus der Moorlandschaft Connemaras gewonnen und ist ein wichtiges Heizmittel.
 

Die Sky Road, ein 20 Kilometer langer Radrundweg, führt von Clifden zu einem Aussichtspunkt oberhalb der Atlantikküste. Foto: Simone Eber

Im Zentrum des Städtchens Clifden mit seinen rund 2000 Einwohnern erwartet uns schon Jonathan Powell mit einigen E-Bikes. „Clifden ist ein Hub für Radtouren“, erklärt der Besitzer des Clifden Bike Shops. „Vor allem E-Bike-Touren werden immer beliebter.“ Für den 20-Kilometer-Rundweg auf der sogenannten Sky Road hätten wir auch mit herkömmlichen Fahrrädern vorliebgenommen. Doch einmal unterwegs, sind wir doch froh über die motorische Unterstützung, denn der Weg zur Atlantikküste ist steigungsreicher als erwartet. Wir passieren Clifden Castle und mehrere Leuchttürme, ehe wir am Sky Road View Point Halt machen. Hier ist der höchste Punkt des Rundwegs und zugleich eine Station des Wild Atlantic Ways, einer 2.500 Kilometer langen Panoramastraße entlang der irischen Westküste, die Galway und Clifden passiert. Der Blick vom Aussichtspunkt auf den Atlantik und die Inseln Inish Turbot, Turk und Ard Mór ist einfach großartig.

Zurück nach Clifden geht es auf einer Wegvariante, der Lower (Unteren) Sky Road. Besonders im Ort, wo der Fahrradweg von normalen Straßen abgelöst wird und die bunten Häuser mit Shops und Restaurants den Blick ablenken, müssen wir uns gut auf den Linksverkehr konzentrieren. „Insgesamt starten von Clifden aus fünf Rundwege zwischen 14 und 47 Kilometern Länge“, erzählt Jonathan und händigt uns Broschüren für die sogenannten Loops aus.

Radweg trifft Realität

Nach einer Lunch-Pause gibt er uns einen Einblick in das Projekt des Connemara Greenways. Dazu fahren wir mit unserem Minibus wieder ein kleines Stück landeinwärts und treffen Jonathan, der diesmal „normale“ Fahrräder in einen Transporter geladen hat, am Ballynahinch Castle, einem Schlosshotel mit großem Park. E-Bikes wären diesmal auch wirklich fehl am Platz, denn unsere Tour in Richtung Clifden endet nach nur sechs Kilometern an einer stillgelegten Bahntrasse und einem Weidezaun. Unser Guide erklärt den Hintergrund: Der Greenway soll einmal durchgehend auf rund 80 Kilometern von Galway nach Clifden verlaufen und dabei meist einer alten Bahntrasse folgen, doch aktuell sorgen Probleme mit Landeigentümern immer wieder für Unterbrechungen. „Immerhin soll die Strecke von Ballynahinch nach Clifden dieses Jahr fertiggestellt werden“, hofft Jonathan. Wir haben die Mini-Tour trotzdem genossen, denn sie bot einen tollen Fernblick auf das Schloss – mit dem Ben Letry, einem der zwölf „Bens“ (Gipfel) der bekanntesten Connemara-Bergkette im Hintergrund.
 

Der Connemara Greenway ist bisher nur in Teilabschnitten befahrbar. Auf dem Weg Richtung Clifden grüßen Ballynahinch Castle und der Berg Ben Letry. Foto: Simone Eber
In der rauen Moorlandschaft des Marconi Walking Loop begleiten Schafe die Spaziergänger. Foto: Simone Eber

Zum Abschluss dieses aktiven Tages machen wir einen Spaziergang auf dem geschichtsträchtigen Marconi Walking Loop in Derrigimlagh südlich von Clifden, der ebenfalls am Wild Atlantic Way liegt. In dieser rauen Moorlandschaft baute der Erfinder Guglielmo Marconi ein Kraftwerk und brachte 1907 die erste Telegrafenverbindung nach Kanada zustande; Torf diente dabei als Elektrizitätsquelle. Außerdem erinnert der fünf Kilometer lange Spazierweg an die Piloten John Alcock und Arthur Whitten Brown, die 1919 als erste Menschen nonstop den Atlantik überflogen und, von Neufundland kommend, hier im Moor notlandeten.

Auf der Fahrt zum Hotel bietet sich uns ein nicht alltägliches Bild: Wir begegnen Kühen, die ein Bad in der Bucht nehmen. Das „Connemara Sands“ verfügt über Zimmer mit Meerblick und einen badesicheren Strand inklusive Sauna. Beim Abendessen dominieren neben dem obligatorischen Lamm frische Köstlichkeiten aus dem Atlantik, von der Fischsuppe über Muscheln bis zum Seehecht. Das musikalische Dessert liefert ein junger Barde, der sich zu Popsongs von Ed Sheeran und Co. auf der Gitarre begleitet.
 

Ungewöhnliches Bild: Kühe baden in einer Bucht in der Nähe von Derrigimlagh. Foto: Simone Eber

Zwischenfall beim Inseltrip

Am nächsten Morgen kommen wir dem Meer noch näher. Per Fähre geht es ab Cleggan in einer guten halben Stunde hinüber auf die kleine Insel Inishbofin. Der Hafen präsentiert sich fotogen mit der Burgruine Cromwell Castle, einem Leuchtturm und verlockenden Stränden. Von hier aus spazieren wir den Küstenpfad entlang bis zum Doonmore Hotel & Restaurant, wo Bänke und Tische auf der grünen Wiese zu einer Stärkung mit wunderschönem Ausblick auf die Küste und die umliegenden Inseln einladen. Noch großartiger ist die Sicht, wenn man dem Weg ein Stück weiter folgt und dann querfeldein den Bergkegel hochsteigt.
 

Regionales Bier und frischer Hummer: Bei der Einkehr auf Inishbofin zeigt sich die irische Kulinarik von ihrer besten Seite. Foto: Simone Eber
Die ruhige Bucht von Inishbofin lässt sich entspannt auf einer Kajak-Tour erkunden. Foto: Simone Eber

Zurück im Hafen treffen wir Kajak-Guide Oileàn Murray. „Die Bucht ist sicher und geschützt“, zerstreut Oileàn Bedenken, während er uns beim Anlegen der Schwimmwesten hilft und einige Anweisungen zur Technik erteilt. Und tatsächlich: Auf dem spiegelglatten Wasser gleiten wir mit sanften Paddelbewegungen ganz mühelos dahin. „Die Touren können auch allein gemacht werden, nur bei mehr Wellengang fahre ich mit“, meint der junge Mann. Da ertönt ein Platschen und Oileàn dreht sich rasch um. Ein Kollege hat das Gleichgewicht verloren und ist aus dem Kajak gekippt. Der Guide greift beherzt zu und hievt den Gekenterten rasch wieder hinein. Gut, dass alles, was nicht nass werden darf, am Ufer bleiben musste! Der Pechvogel nimmt es mit Humor, auch wenn ihn beim Landgang an der Burgruine aus dem 16. Jahrhundert etwas fröstelt. Dafür wird er mit dem idyllischen Bild einer Schafherde belohnt, die es sich auf den Mauern gemütlich gemacht hat.

Zu einer Irlandreise gehört eine Schloss- und Gartenbesichtigung. Für Urlauber in Connemara – und auch für uns am nächsten Tag – ist hier Kylemore Abbey die erste Adresse. Das Schloss im neogotischen Stil liegt malerisch an einem kleinen See und ist in ein riesiges Anwesen eingebettet, das vom einstigen Besitzer mit rund 300.000 Bäumen bepflanzt wurde. Herzstück ist der 24.000 Quadratmeter große Mauergarten, einer der größten kultivierten Mauergärten überhaupt und Hauptgrund dafür, dass Kylemore Abbey der zweitmeistbesuchte Garten Irlands ist.
 

Bekannt ist Kylemoore Abbey auch für seinen großen Mauergarten, hinter dem der Diamond Hill aufragt. Foto: Simone Eber
Der weitläufige Schlosspark von Kylemoore Abbey ist einer der meistbesuchten Gärten Irlands. Foto: Simone Eber

Noch etwas ist an Kylemore besonders: Schon bei der Anfahrt fällt der Blick auf die zwölf „Bens“, die als Synonym für Connemara gelten und deren westlichster der Diamond Hill ist. Steht man dann im Mauergarten, ragt der Berg dahinter auf und „schimmert im Sommer wie ein Diamant“, schwärmt Anja Gohlke, eine gebürtige Deutsche, die als Landschaftsarchitektin in Kylemore arbeitet. Uns packt die Sehnsucht, den Diamond Hill zu besteigen. Also auf in den Connemara National Park!
 

Die robusten Connemara-Ponys sind auf vielen Weideflächen der Region zu finden. Foto: Simone Eber
Grün, hügelig und wasserreich: das typische Connemara zu Füßen des Diamond Hill. Foto: Simone Eber
Auto&Reise-Redakteurin Simone Eber genießt die Aussicht von einem Bergkegel auf der Atlantikinsel Inishbofin. Foto: Simone Eber

Höhenrausch auf 500 Metern

Vier Gebirgsrücken und mehr als 50 Gipfel ragen in den Himmel über Connemara, unter ihnen auch der Diamond Hill im Connemara National Park über dem kleinen Städtchen Letterfrack. Am Eingang des Parks treffen wir John O Halloran, der gleich vom Diamond Hill zu schwärmen beginnt: Er sei ein „großartiger Berg“, der Wandern und Panoramablicke vereine. Es gebe verschiedene Wege, darunter eine Umrundung auf halber Höhe, – aber natürlich wollen wir ganz nach oben! Auf dem Weg gibt uns der wettergegerbte Guide viele Infos über die auch hier dominierende Moorlandschaft und ihre typischen Pflanzen. Besonders eloquent wird der hauptberufliche Rinder- und Pferdezüchter, wenn es um die Connemara-Ponys geht, die auf den Weiden des Nationalparks grasen. „Sie haben ein wunderbares Temperament, sind sanft, sehr beliebt bei Kindern, dabei widerstandsfähig und gut für die Dressur geeignet“, rühmt sie John.

Mittlerweile hat sich der gemütliche Wiesenweg, dem wir anfangs folgten, in einen steilen, steinigen Pfad verwandelt, der Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erfordert. Eine Höhe von 500 Metern – so viel misst der Diamond Hill – klingt nicht nach viel, doch vom Meeresspiegel aus will sie erst einmal bewältigt werden. Auf dem ungeschützten, baumlosen Terrain zerrt der Wind an uns, während gleichzeitig der Schweiß läuft. „Der Diamond Hill ist der einzige Ben, der so schön ausgebaute Wanderwege hat“, ermuntert uns John. „Bei den anderen würde ich immer einen Guide oder sehr gute Vorabinfos empfehlen, auch wegen des Wetters.“

Dann haben wir die Himmelsleiter erklommen, drehen uns um und sind wie von einem Schwindel erfasst: Vor uns liegt ein überwältigendes Panorama mit Fernsicht über die Küste, die Buchten und die Seen von Connemara, auf andere Bens und auf Kylemore Abbey.
 

Der Anstieg zum Diamond Hill im Connemara National Park beginnt zunächst ganz sanft. Foto: Simone Eber
Auf dem letzten Abschnitt bis zum Gipfel des Diamond Hill wird es steil und steinig. Ein fantastisches Panorama ist der Lohn. Foto: Simone Eber

Als wir später verschwitzt im Renvyle House Hotel an der Nordküste Connemaras ankommen, werden wir gleich zu einer Erfrischung auf die Terrasse gebeten. Ein junger Musiker spielt Akkordeon, dann trägt ein betagter Sänger irische Traditionals vor und wagt dazu sogar ein Tänzchen. Zugegeben, die Texte sind teils nicht ganz jugendfrei und der Künstler ist schon etwas steif in den Knien. Doch was von unserer Reise an die irische Atlantikküste in Erinnerung bleibt, ist die Lebensfreude und Gastfreundschaft der Menschen.

 

ARCD-Reiseservice

Titelfoto: Simone Eber


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