28.05.2019 Wolfgang Sievernich

Reifenfülldruck: Die Last mit der Luft

Groß, rund und schwarz – viele Autofahrer wissen kaum mehr über Reifen. Dabei stellen sie den einzigen Kontakt zur Fahrbahn dar, übertragen Antriebs-, Lenk- und Bremskräfte und dämpfen Schläge und Stöße auf schlechten Straßen. Der nachlässige Umgang mit ihnen geht nicht nur ins Geld, sondern hat auch maßgeblichen Einfluss auf die Verkehrssicherheit. 


Der Bremsweg eines Pkw verlängert sich bei einer Geschwindigkeit von 100 Stundenkilometern auf nassem Asphalt um rund sechs Meter, wenn der Reifenfülldruck nur 0,5 bar unter dem korrekten Wert liegt. Das hat der Reifenhersteller Continental in Tests festgestellt.

Bei starkem Regen schwimmt der Reifen zudem leichter auf, Aquaplaning droht – und das kann am Stauende böse ausgehen. Doch nicht nur nasse Straßen stellen bei zu niedrigem Luftdruck ein Problem dar. Auch auf trockener Fahrbahn gerät das Fahrzeug bei plötzlichen Ausweichmanövern leichter aus der Spur und dabei vielleicht sogar in den Graben oder Gegenverkehr. Schlimmstenfalls können die Pneus bei schneller Fahrt überhitzen. Dabei entstehen leicht Temperaturen bis zu 120° Grad Celsius. In der Folge löst sich die Lauffläche ab und der Reifen platzt. Nicht selten auf der Autobahn, wie Reifenreste auf dem Standstreifen erahnen lassen.

Vielen Autofahrern sind die regelmäßigen Kontrollen lästig. Die meisten verzichten auf den Check an der Tankstelle. Und doch ist er notwendig. Jeder Reifen verliert durch Felge und Ventil schleichend Luft – ein vollkommen normaler Prozess. Das führt zu erhöhtem Rollwiderstand und Verschleiß. Und der kostet: Bei nur 0,2 bar Verlust steigt der Kraftstoffverbrauch um ein Prozent, während sich die Lebensdauer um zehn Prozent verkürzt. Liegt der Reifenfülldruck bereits 0,6 bar unter der Richtmarke, schraubt sich der Verbrauch um vier Prozent in die Höhe. Düster sieht es dann besonders bei der Lebensdauer des Reifens aus, denn sie verkürzt sich fast um die Hälfte.

 

Regelmäßiger Check

ARCD  und Reifenhersteller empfehlen, den Reifenfülldruck vierzehntägig  bei kalten Reifen zu kontrollieren, mindestens aber bei jedem Tankstopp. Die richtigen Werte finden sich auf einem Aufkleber am Türholm der Fahrertür, im Tankdeckel, dem Handschuhfach oder in der Bedienungsanleitung. Bei optionalen Reifen aus dem Zubehörhandel kann der Wert vom Aufkleber abweichen, Kunden sollten beim Händler oder Hersteller nachfragen. Wichtig: Je nach Beladung des Wagens gelten unterschiedliche Werte. Auf der Fahrt in den Urlaub beispielsweise muss der Luftdruck im vollbepackten Zustand vor Fahrtantritt entsprechend angepasst werden.

Langsam aber stetig

Gemeinhin gilt die Annahme, dass ein grundsätzlich höherer Reifenfülldruck den Rollwiderstand senkt und den Kraftstoffverbrauch reduziert. Dabei verringert sich allerdings auch die Kontaktfläche zur Straße, womit sich die Kurvenstabilität reduziert und der Bremsweg länger ausfällt. Ebenfalls hält sich die Theorie, dass mit Stickstoff statt Luft gefüllte Reifen über einen langen Zeitraum nur einen vernachlässigbaren Druckverlust aufweisen. Richtig ist, dass die größeren Stickstoffmoleküle zwar langsamer, aber über Monate nahezu unbemerkt aus dem Reifen entweichen. Damit ist das Gas als Alternative zur Luft keine Option für die Verkehrssicherheit.

Das könnte schon eher das Reifendruckkontrollsystem (RDKS) darstellen, das seit 2014 verpflichtend in allen Neufahrzeugen verbaut werden muss. Sensoren messen entweder direkt am Reifen oder indirekt über die ABS-Raddrehzahlsensoren den Druck innerhalb des Reifens und melden Veränderungen per Signalleuchte im Armaturenbrett. Dem Fahrer obliegt es dann, den Reifendruck bei nächster Gelegenheit zu korrigieren. Klingt gut, hat aber einen Haken. Wie der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) in einer Prüfaktion 2018 herausfand, funktioniert das System in der Realität nur bedingt. Viele Autofahrer wissen gar nicht, wozu es gut ist. Entsprechend zeigte jedes dritte getestete Fahrzeug mit RDKS Abweichungen beim Reifendruck. Ohne RDKS waren es lediglich 15 Prozent. „Insbesondere beim Reifenwechsel müssen Autofahrer beachten, das RDKS erneut richtig einzustellen oder einstellen zu lassen“, sagt Hans- Georg Marmit, Sprecher der Kraftfahrzeug-Überwachungsorganisation KÜS. Zudem erkennen einige RDKS-Systeme nur einen plötzlichen Druckverlust, nicht aber eine gleichmäßige Abnahme über einen längeren Zeitraum. Continental-Sprecher Klaus Engelhart empfiehlt deshalb, auch bei Fahrzeugen mit RDKS den Fülldruck regelmäßig manuell zu überprüfen.

Am Ende bleibt uns, trotz aller Technik und Versprechungen, die Last mit der Luft im Reifen also doch erhalten. Zum Wohle der eigenen Verkehrssicherheit gewöhnen wir uns besser daran und bauen den regelmäßigen Check in den Tankvorgang mit ein.


Reifenfülldruck richtig kontrollieren

Mit dem Standgerät

  1. Ventilschutzkappe abdrehen und neben den Reifen legen.
  2. Den Aufsatz am Ende des Schlauchs auf das Ventil drücken und festhalten.
  3. Auf dem Messgerät finden sich zwei große Knöpfe. Der Plus-Knopf erhöht den Druck, der Minus-Knopf verringert ihn.
  4. Nach dem ersten Knopfdruck wird der Reifendruck angezeigt. Den gewünschten Druck einstellen und das Ventil nach Abschluss wieder mit der Ventilschutzkappe verschließen.
  5. Sollen alle Reifen reguliert werden, muss das transportable Messgerät kurz an der Druckluft-Halterung aufgefüllt werden, bevor es wieder benutzt werden kann. Das Reserverad nicht vergessen.
Foto: Wolfgang Sievernich

Elektronischer Reifenfüller

  1. Ventilschutzkappe abdrehen und neben den Reifen legen.
  2. An der Mess-Skala den gewünschten Reifendruck-Soll-Wert einstellen und bestätigen.
  3. Den Aufsatz des Schlauchs auf das Ventil drücken und arretieren. Der Pumpvorgang startet automatisch, ein Signalton kündigt das Ende des Vorgangs an.
  4. Das Ventil nach Abschluss wieder mit der Ventilschutzkappe verschließen.
  5. Bei Bedarf den Vorgang an allen Reifen fortsetzen.
Foto: Wolfgang Sievernich

 

Titelfoto: Stephane Bonnel