Dem Auto näher: Höhere Promillegrenze auf E-Scootern abgelehnt
Im Vorfeld des 61. Deutschen Verkehrsgerichtstags 2023 in Goslar wurde eine Debatte über die mögliche Erhöhung der Promillegrenze bei Fahrten mit elektrischen Tretrollern geführt. Das Expertengremium erteilte solchen Überlegungen jedoch eine Absage. Eine richtige Entscheidung, findet der ARCD.
Als die elektrischen Tretroller, auch E-Scooter genannt, im Sommer 2019 erstmals legal im öffentlichen Verkehr bewegt werden durften, war die Euphorie bei manchen groß. Mit neuen Mobilitätskonzepten öffentlichkeitswirksam zu punkten, war schick. Und so mischte sich damals politischer Gestaltungswille mit dem deutschen Hang zur Regulierung. Fortan wurde vor allem in den Städten ein neues Fahrzeug gesichtet, dessen Betrieb unter der Maßgabe der „Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr“ gestattet war.
Etliches wurde in dieser eKFV klar definiert: Etwa eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit zwischen sechs und 20 km/h, ein Mindestalter von 14 Jahren oder die Benutzungspflicht von Radwegen. So vieles wurde regulatorisch fixiert, dass man glaubte, keinen Aspekt vergessen zu haben. Selbst an die Versicherungspflicht einschließlich entsprechender Plakette war gedacht worden. Und es wurde klargestellt, dass keine Mofa-Prüfbescheinigung für das Fahren mit den elektrisch angetriebenen Rollern erforderlich sei. E-Scooter zählten von Beginn an zu den fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen.
Wenig Bewusstsein
Ein paar Jahre später ist klar, dass in Bezug auf die meist zweirädrigen Flitzer nicht alle Mikromobilitätsträume in Erfüllung gegangen sind. Die sogenannte letzte Meile sollte mit den Rollern bewältigt und der Lückenschluss zwischen öffentlichem Nahverkehr und ©individuellem Zielort geschafft werden. Wie Nils Weber, Verkehrsdezernent der Polizeidirektion Hannover Ende Januar 2023 auf dem 61. Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar aus den Unfallstatistiken des Landes Niedersachsen herauslas, dienen E-Scooter vorrangig als Freizeitgerät. Die meisten Unfälle ereignen sich demnach in den Nachmittags- und Abendstunden, und zwar von mittwochs bis samstags. Zeitfenster, die weniger mit dem Pendeln zur Arbeit, sondern vielmehr mit dem Heimweg aus der Kneipe zusammenhängen. Besonders auffällig: In Niedersachsen sei der Anteil der alkoholisierten Unfallbeteiligten im E-Scooter-Verkehr mehr als doppelt so hoch wie etwa im Fahrradverkehr.
Die Erfahrung der Polizei zeige, dass oftmals das Bewusstsein fehle, mit dem E-Scooter ein sich selbst bewegendes elektrisches Fahrzeug zu steuern, berichtet Christian Aldebert. Der Rechtsanwalt aus Nürnberg hat für den ARCD den Verkehrsgerichtstag 2023 vor Ort in Goslar beobachtet und zitiert eine im Grundsatz immer wiederkehrende Ausrede der Nutzer: „Ich habe ja das Auto stehen lassen und bin extra mit dem E-Scooter in den Biergarten und zurück gefahren.“ Eine fatale Logik, die auch auf einer Gesetzeslücke beruht. Denn offenbar fehlt die Festschreibung einer Promilleschwelle. „Es ist von Gesetzes wegen gar nicht so klar, welche Grenzwerte hier für E-Scooter gelten und wie man damit umzugehen hat“, erläutert Aldebert.
Strengere Regelung
Aus diesem Anlass diskutierten die Fachleute des Verkehrsgerichtstags über erlaubte Alkoholpegel von E-Scooter-Lenkern. Einem erhöhten Spielraum erteilten sie eine Absage. „Der Arbeitskreis hat empfohlen, dass für E-Scooter die Grenzwerte bei 0,5 Promille als Ordnungswidrigkeit und bei 1,1 Promille als Straftat angenommen werden“, berichtet Aldebert. Damit ist der E-Scooter dem Auto näher als dem Fahrrad, für das nach wie vor satte 1,6 Promille als Schwellenwert für absolute Fahruntüchtigkeit gelten.
Unterstützt wurde iese Empfehlung durch einen Bericht von Prof. Dr. Thomas Daldrup vom Institut für Rechtsmedizin der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. In einem vergleichenden Feldversuch von alkoholisierten Fahrrad- und E-Scooter-Fahrern habe sich gezeigt, dass Letztere erheblich früher durch Ausfallerscheinungen und Fahrfehler auffielen. E-Scooter-Fahren ist offensichtlich anspruchsvoller. In der Untersuchung sei eindeutig zu sehen, dass auch bei geringen Mengen Alkohol von einem erhöhten Risiko von Fahrunsicherheiten auszugehen sei, was für die strengere Auto-Promillegrenze spreche. Rechtsanwalt Aldebert sieht nun den Gesetzgeber in der Pflicht, eine verbindliche Regelung zu treffen. Bislang gebe es dazu lediglich individuelle Rechtssprechungen.
Ein Mangel, der sich auch auf einen weiteren Aspekt ausdehnt: Ab 1,1 Promille handelt es sich um eine Trunkenheitsfahrt. Dann wird „automatisch die Fahrerlaubnis entzogen“, erklärt Aldebert. „Es war dann die Diskussion, ob das generell bei fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen wie dem E-Scooter auch greifen soll.“ Es sei eine heiße Diskussion gewesen, ob dieser Automatismus zur Entziehung der Pkw-Fahrerlaubnis richtig sei. Mehrheitlich habe sich das Gremium letztlich dagegen ausgesprochen, so Aldebert. Aber: „Das war eine knappe Abstimmung.“
In dem Zusammenhang kam eine weitere Lücke zur Sprache. Ob nämlich die Fahrerlaubnisbehörde das Führen von fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen regeln dürfe. Bereits 2020 habe das Bundesverwaltungsgericht ungewöhnlich deutlich darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber auch hier eine Regelung vermissen lasse, sagt Aldebert. Passiert sei aber noch immer nichts. Scheinbar wurde bei der eKFV doch nicht alles bedacht.
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