08.10.2023 Haiko Tobias Prengel


Akku tauschen statt langwierig aufladen: Mit blitzschnellem Battery Swapping will Nio die Elektroauto-Konkurrenz aufmischen. Wir haben die Technologie getestet.

Wenn das Elektroauto nicht mehr laden muss


Wechselstrom: Dieser Begriff aus der Elektrizitätslehre bekommt am Steuer eines Nio eine völlig neue Bedeutung. Aufladen per Kabel ist bei diesem Elektroauto möglich, aber nicht nötig, die Batterie kann einfach getauscht werden. Keine fünf Minuten dauert es, dann hat das Auto wieder einen vollen Akku. So etwas bietet nur der aufstrebende Autohersteller aus China, an Ladesäulen müssen Nio-Kunden sich nicht anstellen. Alternativ können sie die Traktionsbatterie ihres Fahrzeugs an „Power Swap Stations“ einfach auswechseln lassen – und flugs mit einer frischen Batterie weiterfahren.

Wie der Akkuwechsel genau funktioniert, testeten wir mit einem Nio ET5 in Berlin-Spandau. In einem Gewerbepark hat der Hersteller eine neue Swap-Station eingerichtet. Die Technik verblüfft: Am Standort angekommen, fährt das Fahrzeug autonom und wie von Geisterhand gesteuert rückwärts in eine Art Garage. Es ruckelt, vom Unterboden dringen Schraubgeräusche ins Cockpit. „Jetzt wird die leere Batterie entnommen. Und von der anderen Seite kommt aus dem Ladekabinett eine frisch aufgeladene Batterie und wird im Fahrzeug installiert“, erklärt der anwesende Mechatroniker den vollautomatischen Prozess. Kurz darauf ist der rund 500 Kilogramm schwere Akku gewechselt. Wie bei einer Waschanlage schaltet eine Ampel auf Grün und wir können weiterfahren.

Sehnsucht nach dem locker-leichten Laden

Nio feiert die Technologie als „revolutionäre Ladelösung“ und verkündet: „Mit unserem wiederaufladbaren und austauschbaren Batteriesystem schaffen wir ein unvergleichliches Nutzererlebnis.“ Fakt ist: Der Elektroauto-Markt ist hart umkämpft. Bislang ist Tesla weltweit führend. Doch China-Marken wie BYD, MG oder Aiways werden immer stärker und erobern Marktanteile – auch in Europa.

Nio ist als Elektro-Marke hierzulande noch recht unbekannt. Die Mittelklasse-Limousine ET5 gibt es erst seit wenigen Monaten. Mit 47.500 Euro zuzüglich Akkumiete ist der Preis ambitioniert, bei einem Batteriekauf kommen je nach Kapazität bis zu 21.000 Euro obendrauf. Die Alternative ist das Fahrzeug-Abo, hier liegt die Rate bei monatlich etwa 1.200 Euro – inklusive Akku.

Auch das ist eine Menge Geld. Allerdings bekommen die „User“, wie Nio seine Kunden nennt, dafür viel geboten. Design und Verarbeitung sind beim ET5 edel, die Fahrleistungen bei fast 500 PS beeindruckend. Bei der Reichweite verspricht der Hersteller bis zu 590 Kilometer mit dem großen Akku (100 kWh). Mit den neuen angekündigten Feststoff-Akkus könnten bald sogar über 1.000 Kilometer möglich sein. Das würde dem Nimbus des Diesel als ultimativem Langstreckenauto wohl endgültig den Garaus machen.

Also warum eine Wechselstation anfahren, wenn man seinen Nio auch zu Hause oder an einer öffentlichen Ladesäule aufladen kann? Laden müsse so einfach sein wie Tanken, fordert Verkehrsminister Volker Wissing. Beim Aufbau einer flächendeckenden Infrastruktur setzt der Bund deshalb vor allem auf Schnellladesäulen. Gleichzeitig wird die Ladetechnik der E-Autos immer besser. Mit einem Hyundai Ioniq 5, Porsche Taycan oder Tesla Model Y vergehen keine 30 Minuten, bis der Akku wieder für längere Strecken gefüllt ist.

Massentechnologie oder Marketing-Gag?

Zugegeben, die Blitzaufladung bei einem Nio via Akkuwechsel klingt verlockend, etwa für Vielfahrer. Für massentauglich halten Experten die Technologie nicht. „Dahinter steckt vor allem Marketing“, sagt Dirk Wollschläger, Direktor am Center Automotive Research (CAR) in Duisburg. „Nio zielt auf das Premiumsegment und positioniert sich als Wettbewerber zu Tesla.“ Doch Nio sei ein Nischenanbieter und werde wohl auch keine Volumenmarke werden – zumindest nicht in Deutschland.

Denn von einer Infrastruktur lässt sich bei den Power Swap Stations (PSS) nicht ansatzweise sprechen. Offiziell in Betrieb hat Nio deutschlandweit derzeit ganze drei PSS: in Hilden bei Düsseldorf, in Dorsten im Ruhrgebiet und in Zusmarshausen an der Autobahn 8 bei Augsburg. „Das ist sehr wenig und hat eher Showroom-Charakter“, sagt Dirk Wollschläger und verweist auf die hohen Kosten des Ausbaus: Vor ziemlich genau zehn Jahren musste Ex-SAP-Manager Shai Agassi mit seinem Unternehmen „Better Place“ Insolvenz anmelden. Dessen Ziel war es gewesen, eine flächendeckende Infrastruktur mit Batteriewechselstationen für E-Autos aufzubauen.

Nio indes will in Berlin-Spandau und anderswo bald weitere PSS ans Netz bringen, europaweit sollen bis Jahresende 70 Wechselstationen entstehen. Dass der Hersteller es ernst meint, zeigen Zahlen aus China. Dort hat Nio bereits über 1.300 PSS (Stand: Sommer 2023) errichtet. Pro Monat sollen bis zu 150 weitere folgen.

Einen Vorteil hat das Wechselsystem, abgesehen von der Zeitersparnis: Die Akkus halten länger. Während deren Lebenszeit durch häufiges Schnellladen sinkt, lässt Nio die ausgewechselten Batterien an den PSS im Schongang und nur bis auf 90 Prozent aufladen. Um ständig Ersatz parat zu haben, müssen allerdings noch mehr Batterien hergestellt werden als ohnehin schon.

„Sinnvoll wäre der Ansatz allenfalls, wenn sich die Autohersteller auf eine gemeinsame Standardbatterie einigen würden. Aber das ist bei einem Kernstück des Autos unrealistisch“, sagt CAR-Direktor Dirk Wollschläger. Schon bei den Ladesteckern bekommen die Hersteller keinen einheitlichen Standard hin.

So erklärte Tesla, dass das Konzept des Akkutausches keine Option sei. Dabei kann die Akkumiete, wie sie bei Nio Voraussetzung für die PSS-Nutzung ist, für Kunden Vorteile haben. Zum einen wird das Fahrzeug in der Anschaffung günstiger. Zudem unterliegen Traktionsbatterien einem Verschleiß und können kaputt gehen. Ist die Hersteller-Garantie abgelaufen, werden Reparatur beziehungsweise Ersatz teuer.

Für Nio-User sei das Akku-Swapping in Europa momentan „komplett umsonst“, sagt ein Unternehmenssprecher. Die Batterie gibt es allerdings nicht zum Nulltarif: Mit 75 kWh Kapazität sind monatlich 169 Euro fällig, bei der 100-kWh-Variante 289 Euro – sofern das übrige Fahrzeug gekauft wurde. Enthalten seien dann zwei „Swapping-Coupons“, so Nio, um den Großteil des monatlichen Ladebedarfs mit Akkutausch abdecken zu können.

Anwendungsfälle für professionelle Nutzer

Gerade für urbane Pendler ohne eigene Wallbox könnte das Modell attraktiv sein. Oder eben für Vielfahrer. So hat inzwischen auch das deutsch-chinesische Joint Venture Inframobility-Dianba eine Akkuwechsel-Teststation in Berlin-Westhafen eingerichtet. Dahinter verbirgt sich Aulton Dianba, einer der Weltmarktführer für schnelle Batteriewechsellösungen. „Ein Wechselvorgang dauert in der Regel 2,2 Minuten, maximal drei Minuten“, verspricht das Unternehmen.

Die Chinesen haben unter anderem das Taxigewerbe im Visier. Lange Ladezeiten sind für Taxiunternehmen unwirtschaftlich, mit dem blitzschnellen Akkutausch würden Elektroautos interessant. So sollen in Peking bereits 30.000 Taxen die Swapping Stations von Aulton Dianba nutzen.

Groß könnte das Potenzial auch bei Nutzfahrzeugen sein. In Polen betreibt Inframobility-Dianba eine weitere Akkuswap-Pilotanlage für E-Busse und -Lkw. Für alltagstaugliche Reichweiten im Schwerlastverkehr brauchen Elektro-Trucks gewaltige Batterien. Doch auch hier tut sich einiges. Der Mercedes eActros, der bald in Serie gehen und eine Reichweite von bis zu 400 Kilometern schaffen soll, kann an gängigen DC-Ladesäulen aufladen. „Auch soll der Ladehub von 20 auf 80 Prozent beim eActros nur eine Stunde dauern“, sagt Dirk Wollschläger vom CAR. Regelmäßige Ruhepausen müssen Brummifahrer ohnehin einlegen.

Und im Pkw-Bereich? Auch hier macht die Ladetechnik rasante Fortschritte. Die Lade-Stopps werden immer kürzer – unter anderem dank effizienterer Batterien. Als neue Wunderakkus etwa gelten die Natrium-Ionen-Zellen von CATL und BYD, die noch in diesem Jahr in Serie gehen sollen.

„Die Entwicklungssprünge sind immens“, sagt CAR-Direktor Dirk Wollschläger. Im September 2023 will das Center Automotive Research die neuesten Technologien bei den zweitägigen „Battery Days“ in Weimar diskutieren. Auch das Akkuwechsel-Konzept wird ein Thema sein.

Welche Batterie- und Ladetechnik sich langfristig durchsetzt, wird sich also noch zeigen. Eines steht wohl jetzt schon fest: Die Argumente, aus Reichweitenangst oder wegen langwieriger Ladepausen ein Verbrenner-Auto zu fahren oder gar neu zu kaufen, dürften mit solchen Technologien weiter schwinden können.

Auch andere Anbieter wie Inframobility-Dianba interessieren sich für den Wechselakku-Markt. Im Fokus stehen etwa Taxen, um deren Akkus durch Unterflur-Roboter schnell zu tauschen. Foto: INFRAMobility-Dianba GmbH
Welche Lösung ist besser für den Schwerlastverkehr? Ladepausen würden Brummi-Fahrern Ruhephasen gönnen. Ein schneller Akkuwechsel ermöglicht die rasche Weiterfahrt. Foto: Daimler Truck AG

Titelfoto: Haiko Tobias Prengel

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