30.03.2020 Bettina Glaser

Rund oder über Kreuz? Die passende Gestaltung von Knotenpunkten

Seit einigen Jahren erleben Kreisverkehre in Deutschland eine Renaissance. Ihnen eilt ein guter Ruf voraus, denn vielerorts können sie zahlreiche Vorteile entfalten. Mancherorts lauern allerdings Gefahren oder überwiegen die Nachteile. Was ist also besser? Ein Kreisverkehr oder eine Kreuzung?


Eine Kreuzung bei Ispringen in der Nähe von Pforzheim in Baden-Württemberg. Der Name „Todeskreuzung“ verrät schon, was sich hier in den Achtzigerjahren abspielte: Allein 17 Menschen starben, es passierten regelmäßig schwere Unfälle, wenn Fahrzeuge an dieser Kreuzung zweier Kreisstraßen zusammen-stießen. Bis 1992 an diesem gefährlichen Knotenpunkt ein Kreisverkehr gebaut wurde. „Seitdem ist Ruhe“, erzählt Prof. Werner Brilon, Kreisverkehr-Experte und Emeritus der Ruhr-Universität Bochum (Lehrstuhl für Verkehrswesen). Eine typische Beobachtung, die Experten machen, wenn Kreuzungen zu Kreisverkehren umgebaut werden.

Plus an Verkehrssicherheit
Studien bestätigen diese Erfahrungen. „Die Sicherheit an Kreisverkehren ist in der Regel höher als an anderen Kreuzungsregelungen“, sagt Dipl.-Ing. Jörg Ortlepp, Leiter Verkehrsinfrastruktur bei der Unfallforschung der Versicherer, und verweist auf eine Studie zum Thema „Sicherheit innerörtlicher Kreisverkehre“. Deren Ergebnis: „Durch einen Umbau von vorher sicherheitsproblematischen Knotenpunkten in Kreisverkehre lässt sich im Mittel eine deutliche Erhöhung der Verkehrssicherheit erreichen.“ Demnach ist der Anteil der Unfälle mit schwerem Personenschaden an allen Unfällen mit Personenschaden in Kreisverkehren mit 12 Prozent niedriger als an vorfahrtgeregelten Kreuzungen und Einmündungen (16,2 Prozent) sowie an Knotenpunkten mit Ampel (16,4 Prozent).

Beim Kreisverkehr (acht Konfliktpunkte) gibt es deutlich weniger Konfliktpunkte als bei Kreuzungen (32 Konfliktpunkte). Grafik: ARCD/Verkehrsministerium NRW

Geringere Geschwindigkeit
Woran liegt dieses Plus an Verkehrssicherheit beim Kreisverkehr? Laut Julia Fohmann vom Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) ist es darauf zurückzuführen, dass es deutlich weniger Konfliktpunkte gibt als bei Kreuzungen mit oder ohne Ampelschaltung – nämlich nur beim Ein- und Ausfahren (siehe Grafik). Mehrfachkonflikte, unfallträchtige Kreuzungs-, Linksabbiege- und Linkseinbiegekonflikte entfallen. Zudem müssen Verkehrsteilnehmer beim Einfahren in einen Kreisverkehr automatisch langsamer fahren. Die geringen Geschwindigkeitsdifferenzen zwischen den Verkehrsteilnehmern reduzieren die Unfallschwere. „In einem einspurigen Kreis fahren die Autos maximal 25 oder 30 Stundenkilometer. Bei diesem Tempo kann man die meisten Konflikte beenden, ohne dass es zu einem Zusammenstoß kommt“, erklärt Brilon.

Fahrradfahrer am Kreisel
Autofahrer und Fußgänger profitieren bei der Verkehrssicherheit von Kreisverkehren am meisten. Fohmann räumt ein: „Etwas problematisch ist die Führung des Radverkehrs in Kreisverkehren. Hier ist es wichtig, dass die Radverkehrsführung nicht baulich abgetrennt ist, sondern der Radverkehr im Kreisverkehr mitgeführt wird.“ Auch die Studie der Unfallforschung der Versicherer kommt zu dem Schluss, dass „die Sicherheit für den Radverkehr nicht immer verbessert werden“ kann. Ähnliche Erfahrungen musste Bremen an einem älteren, großen Kreisverkehr machen. Der sogenannte Bremer Stern mit sechs Zufahrten ist ein vielbefahrener Verkehrsknotenpunkt mit rund 25000 Kraftfahrzeugen, 13000 Fahrrädern sowie zahlreichen Bussen und Straßenbahnen täglich. In jeden dritten Unfall waren vor 2017 Radfahrer verwickelt; wenn Menschen verletzt wurden, waren sogar in zwei Drittel der Fälle Zweiradfahrer betroffen. Vor allem beim Ausfahren mussten Autofahrer komplexe Fahraufgaben bewältigen und viele Informationen in kurzer Zeit verarbeiten. Radfahrer wurden dabei häufig übersehen, fanden Verkehrspsychologen des Instituts mensch, verkehr, umwelt (mvu) München in Zusammenarbeit mit SHP Ingenieure Hannover dort heraus.

Unfallschwerpunkte überarbeitet
Also wurde nachgebessert: Mit knapp einer Million Euro wurde der Bremer Stern 2017 umgebaut, kritische Punkte entschärft. Eine Fahrspur für Kraftfahrzeuge fiel weg. Dadurch wurde der Abstand zwischen Autos und Fahrrädern erhöht. Autos fahren jetzt im rechten Winkel aus dem Kreisverkehr aus, um so Radfahrer, die von hinten kommen, besser wahrzunehmen und rechtzeitig anhalten zu können. Der Radweg wurde zudem rot eingefärbt. „Die Unfallzahlen sind noch nicht zurückgegangen, aber es gab seitdem keine Schwerverletzten oder Toten mehr. Wir sehen, dass es besser funktioniert“, sagt Jens Tittmann, Pressesprecher der Senatorin für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau. Das Beispiel zeigt, dass der Bau eines Kreisverkehrs gut durchdacht sein muss, insbesondere wenn dieser auch von ungeschützten Verkehrsteilnehmern genutzt wird.

Gefährliche Skulpturen
Brilon bemängelt, dass manchmal unerfahrene Leute oder Politiker Kreisverkehre planen würden. „An einer normalen Kreuzung entwickelt ein Ingenieur keine Phantasie, da baut er das nach Nullachtfünfzehn und nach Richtlinien. Aber am Kreisverkehr bekommen die Leute manchmal tolle Ideen und die sind nicht immer gut. Und so erreichen sie dann nicht den Effekt an Sicherheit, der möglich wäre.“ Besonders kritisch sieht er Skulpturen, Denkmäler, Steine und ähnliche Hindernisse außerorts auf der Mittelinsel. Etliche tödliche Unfälle seien so schon passiert – wie beispielsweise, als ein Auto in Eschbach im Breisgau frontal gegen eine Flugzeugskulptur auf einer Mittelinsel prallte. Die traurige Bilanz: zwei Tote, drei lebensgefährlich Verletzte. Kritik komme in der Öffentlichkeit schlecht an, bei Politikern und Bürgern gleichermaßen. „Die lieben es, dass da Denkmäler stehen. Das ist eine Seuche“, sagt Brilon.

Die Unfall-Kosten-Rate unterscheidet sich je nach Kreisverkehrtyp: Dementsprechend entstehen bei Unfällen in Minikreisverkehren die geringsten Kosten, bei solchen in zweistreifig befahrbaren mit Fahrstreifen-Markierung die höchsten Kosten. Grafik: Werner Brilon

Dennoch: Insgesamt ist die Unfall-Kosten-Rate eines Kreisverkehrs laut Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) in etwa halb so hoch wie an einer signalgeregelten Kreuzung – das zeigt, dass weniger schwere Unfälle passieren. Je nach Art des Kreisels unterscheidet sich die Unfallkostenrate. Ein Minikreisel mit einer für Lkw und Busse befahrbaren Mittelinsel ist beispielsweise sicherer als ein mehrspuriger Kreisverkehr (siehe Grafik Unfall-Kosten-Rate). Bei letzterem kann es laut DVR zu Konflikten beim Spurwechsel kommen.

Typ und Flächenverbrauch
Welcher Typ Kreisverkehr entsteht, hängt von der Verkehrsstärke ab. Damit geht auch der Flächenverbrauch einher: Minikreisverkehr, kleiner Kreisverkehr, zweistreifig befahrbarer Kreisverkehr, großer Kreisverkehr und Sonderformen. Grundsätzlich gilt: Je größer der Außendurchmesser ist, desto höher darf die Verkehrsstärke sein. Die genauen Richtlinien sind im Merkblatt für die Anlage von Kreisverkehren festgelegt. Es gelten beispielsweise folgende Orientierungswerte: So können einen Minikreisverkehr mit einem Außendurchmesser von 13 bis 22 Meter bis zu 18000 Fahrzeuge pro Tag passieren, einen kleinen Kreisverkehr mit einem Außendurchmesser von 26 bis 35 Meter bis zu 25000 Fahrzeuge am Tag, mit einem Außendurchmesser von mindestens 40 Metern bis zu 32000 Fahrzeuge am Tag.

Geringe Wartezeiten
Passt das Verhältnis von Größe und Verkehrsstärke nicht, kann es zu Rückstaus kommen. Das kann auch passieren, wenn die Straßen, die zum Kreisverkehr führen, unterschiedlich stark befahren werden. In diesem Fall sorgt eine Kreuzung für einen besseren Verkehrsfluss. Ansonsten entfaltet ein Kreisverkehr einen weiteren Vorteil: „Solange der Kreisverkehr funktioniert, sind die Wartezeiten deutlich geringer als bei einer Signalanlage. Bei wenig Verkehr warten Sie überhaupt nicht, während Sie an einer Ampelanlage auch bei wenig Verkehr warten“, sagt Brilon. Und: „Im Knotenpunktbereich können bis zu 30 Prozent an versiegelter Fläche eingespart werden“, heißt es in einem Kreisverkehr-Faktenpapier der BASt, denn bei gleicher Leistungsfähigkeit beansprucht ein Kreisverkehr laut Brilon weniger asphaltierte Flächen. Das bedeute zwar nicht unbedingt weniger Grundriss-Fläche, aber weniger Asphalt.

Bau- und Betriebskosten
In die Entscheidung, ob ein Kreisverkehr oder eine Kreuzung mit oder ohne Ampel gebaut wird, fließen auch ökonomische Gesichtspunkte ein. „Knotenpunkte mit Lichtsignalanlage zeichnen sich gegenüber Kreisverkehren im Allgemeinen durch geringere Bau-, aber höhere Betriebskosten aus“, sagt Christopher Gerhard, Pressesprecher der BASt. Bei einer Ampel müssen laufende Betriebskosten wie Strom und Wartung einberechnet werden, wohingegen beim Kreisel nur einmalige Baukosten anfallen.

Individuelle Entscheidung
Die Herausforderung der Verkehrsplaner und Entscheider fasst Gerhard folgendermaßen zusammen: „Ziel ist es, für jeden Einzelfall unter Berücksichtigung der örtlichen und verkehrlichen Randbedingungen eine Knotenpunktart zu wählen, die eine hohe Verkehrssicherheit sowie eine gute Qualität des Verkehrsablaufs gewährleistet.“ Eine klare Antwort auf die Frage: „Was ist besser – Kreisverkehr oder Kreuzung?“ gibt es also nicht. Jeder Fall muss individuell geprüft und entschieden werden.
Insgesamt wird aber deutlich: Wenn sich die ­Verkehrsteilnehmer an die Verkehrsregeln im Kreisverkehr halten und die Planer regelkonforme Kreisverkehre gestalten, sind sie an vielen Orten eine runde Sache. Und an allen anderen ist eine Kreuzung die bessere Wahl.

Titelfoto: stock.adobe.com / © Michael