22.01.2020 Wolfgang Sievernich

Grüner Wasserstoff: Emissionsfrei und umstritten

Als Raketentreibstoff ist Wasserstoff schon seit den 1960er-Jahren bekannt, in der elektrifizierten Energiewelt gilt das Gas heute als sauberer und transportabler Energiespeicher. Allerdings nur, wenn es aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen wird. Um Wasserstoff über den Pkw-Sektor hinaus massentauglich und bezahlbar zu machen, muss nicht nur die Produktion profitabler werden, sondern neben dem schnelleren Ausbau der Technologie auch die Anwendungsbreite auf Lkw, Busse, Züge und Schiffe ausgeweitet werden.


Wasserstoff war das erste Element nach dem Urknall und ist nicht nur der häufigste Stoff im Universum, sondern auch die ergiebigste Energiequelle für Sterne wie etwa die Sonne. In Reinform tritt Wasserstoff auf der Erde nur in molekularer Form (H2) auf, gebunden findet es sich vor allem im Wassermolekül (H2O).

Der größte Teil des produzierten Wasserstoffs entsteht als Nebenprodukt in Prozessen der Chemieindustrie. Im industriellen Maßstab lässt sich der sogenannte graue Wasserstoff etwa durch Reformierung aus fossilen Rohstoffen wie Erdgas erzeugen. Ein Verfahren, das aber auch CO2 freisetzt. Alternativ lässt sich Wasserstoff mithilfe von Strom aus Wasser bilden. Dafür wird dieses mittels Elektrolyse in die Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff aufgespaltet und die eingebrachte Energie wird im Wasserstoff gespeichert. Um klimafreundlichen, grünen Wasserstoff handelt es sich, wenn dieser Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie der Windkraft oder Photovoltaik stammt. Obwohl Elektrolyse-Verfahren mit diesem „grünen“ Strom momentan in nur etwa fünf Prozent der Fälle angewendet werden, gehen Forscher des Energieversorgers Shell in einer Studie aus dem Jahr 2018 davon aus, dass diese Form der Wasserstofferzeugung in Zukunft deutlich zunehmen wird.

Hoher Druck vonnöten

Denn liefern Wind und Sonne mehr Energie als gerade im Stromnetz benötigt wird, könnte der Strom mithilfe des Energieträgers Wasserstoff zur späteren Verwendung in Tanks oder Pipelines zwischengespeichert werden. Für die flächendeckende Nutzung von Wasserstoff wäre ein Pipeline-Netz laut der Shell-Studie die beste Option, insbesondere wenn lokale und regionale Netze zu überregionalen Verbünden zusammengeschlossen würden. Das Problem: Unser Rohrleitungsnetz ist mit 376 Kilometern Länge nur unzureichend auf den kommenden Bedarf ausgerichtet. Vergleichsweise besser geht es noch dem zehnmal kleineren Nachbarland Belgien – das dortige Netz ist fast doppelt so lang. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird Wasserstoff bei uns deshalb vorwiegend in Drucktanks gelagert und per Lkw transportiert.
Da das Gas 13-mal leichter als Luft ist, muss es für einen kleinen Pkw-Tank auf 700 Bar komprimiert werden, für Busse reicht aufgrund größerer Tankreserven auch ein Druck von 350 Bar aus. Zum Vergleich: Erdgas wird üblicherweise auf 200 bis 250 Bar verdichtet, Autogas (auch Flüssiggas genannt) auf etwa zehn Bar. Drucklos geht es nicht: Aktuelle Wasserstoff-Pkw erzielen zwischen 500 und 700 Kilometern Reichweite – ohne Komprimierung würde das vertankte Volumen bei einem Pkw 250 Badewannen füllen!  

Einfacher Tankvorgang

Apropos Tanken: Der Vorgang selbst gestaltet sich einfacher als gedacht und erinnert an die Betankung von Gasfahrzeugen. Vollgetankt ist ein Wasserstoff-Pkw innerhalb von rund drei Minuten, das dauert gerade mal doppelt so lange wie mit Benzin oder Diesel. Nach dem Verriegeln der Zapfpistole startet der Tankvorgang. Mehrfach durften wir dieses Prozedere während der Testfahrten mit einem Hyundai Nexo (siehe Auto&Reise 04/2019) am Autohof Geiselwind (Bayern) an der A3 erleben. Lautstark rauschend erweckt ein großer Kompressor die Anlage nach dem Drücken des Startknopfes zum Leben und pumpt das wertvolle Gas aus einem kaum zu übersehenden Hochtank in der Nähe über die Zapfsäule in den Fahrzeugtank. Nach ein paar Minuten endet das Schauspiel wieder, der Tankvorgang ist beendet. Aufgrund der höheren Energiedichte (33,33 kWh/kg) ist Wasserstoff preislich mit Benzin (12 kWh/kg) vergleichbar und kostet pro Kilo generell 9,50 Euro. Barzahlung scheidet an der Tankstelle aus, die Abrechnung erfolgt elektronisch über eine Tankkarte.

Das Ganze ist durchaus alltagstauglich – wenn denn eine passende Tankstelle in der Nähe ist. Obwohl wir mit 81 funktionsfähigen und öffentlich zugänglichen Wasserstoff-Tankstellen (Stand Dezember 2019) im europäischen Vergleich mit Abstand die meisten Tankpunkte für H2-Pkw zu bieten haben, wirkt diese Zahl verglichen mit 14.459 Tankstellen herkömmlicher Kraftstoffe (Stand 2019) ziemlich verloren. Selbst das löchrige Netz von 878 Erdgas-Zapfplätzen (Stand Dezember 2019) vermittelt im Vergleich noch eher den Hauch alltagstauglicher Praktikabilität.

Teure Infrastruktur

Bis Mitte des Jahres will die H2 Mobility Deutschland GmbH & Co. KG die Zahl auf 100 Wasserstoff-Stationen anheben. Entstanden im Jahr 2015 aus einem Zusammenschluss der Firmen Air Liquide, Daimler, Linde, OMV, Shell und Total ist H2 Mobility für die flächendeckende Entwicklung einer Wasserstoff-Infrastruktur in Deutschland verantwortlich. Ziel ist es, Wasserstoff-Zapfsäulen für die Betankung von Pkw in bestehende Tankstellen zu integrieren und vorerst in sieben Ballungszentren (Hamburg, Berlin, Rhein-Ruhr, Frankfurt, Nürnberg, Stuttgart und München) sowie entlang der verbindenden Fernstraßen und Autobahnen aufzubauen. Mit dem Hochlauf der Fahrzeugzahlen sollen in Zukunft weitere 300 Stationen folgen. Kein günstiges Unterfangen, immerhin kostet eine Wasserstoff-Station mit Infrastruktur rund eine Million Euro. Neben den Kosten sind auch die behördlichen Auflagen nicht ohne. „Alle H2-Tankpunkte durchlaufen bei verschiedenen Behörden ein umfangreiches Genehmigungsverfahren“, erklärt Sybille Riepe, Sprecherin von H2 Mobility. „Der eingereichte Bauantrag muss beispielsweise eine Gefahreneinschätzung beinhalten, die vom Bau- und Gewerbeamt mit erstellt und geprüft wird und alle lokalen Anforderungen umfasst.“ Das letzte Wort haben am Ende TÜV und Feuerwehr, deren Brand- und Sicherheitskonzept über den Betrieb entscheiden. In festen Intervallen müssen die Installationen zudem von einer Zentralen Prüfstelle (ZÜS) auf den Explosionsschutz, die funktionsfähige Elektrik, intakte Druckanlagen sowie Tanks überprüft werden.

Um die Klimaschutzziele der Bundesregierung bis zum Jahr 2050 aber zu erfüllen, die CO2-Einsparungen von bis zu 95 Prozent vorsehen, muss der Ausbau der Wasserstoff-Technologie regional und überregional noch viel größer gefasst werden. Möglich machen sollen das seit dem vergangenen Jahr neun neu gegründete Wasserstoffregionen, in denen Kommunen und Regionen in Deutschland Umwelt- und Verkehrskonzepte mit Wasserstoff umsetzen. Vom Bundesverkehrsministerium (BMVI) gefördert, sollen sie Ideen für integrierte Konzepte entwickeln, Pläne konkretisieren, ausarbeiten oder mit Unterstützung der Bundesregierung umsetzen. Die Höhe der Fördermittel orientiert sich an den variierenden Wissens- und Erfahrungswerten. Während Anfänger mit dem Thema Wasserstoff in Berührung gebracht werden, erwarten Fortgeschrittene finanzielle Unterstützung zu konkreten Projektideen. Den Gewinnerregionen winken Zuschüsse zur Umsetzung regionaler Konzepte. Die Finanzplanung im Haushalt der Bundesregierung sieht bis 2022 noch ein Fördervolumen von 481 Millionen Euro vor.  

Geforscht wird auf wissenschaftlicher Basis schon seit Jahrzehnten, so wie etwa beim Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Seit 2013 erproben die Wissenschaftler am Standort Eggenstein-Leopoldshafen (Baden-Württemberg) zwei Wasserstoff-Brennstoffzellen-Hybrid-Busse des Typs Mercedes Citaro im täglichen Shuttle-Verkehr. Die Fahrzeuge verfügen jeweils über zwei 60-kW-Brennstoffzellenstacks, elektrisch angetriebene Radnabenmotoren und  für zehn Kilometer als Not-Reserve Lithium-Ionen-Batterien. Der Wasserstoff für die insgesamt 35 Kilogramm fassenden Drucktanks auf dem Dach wird über einen Kompressor auf 350 Bar verdichtet.

Effizienter als Diesel

Benötigt der Pkw für ein Tankvolumen von etwa fünf Kilo Wasserstoff nur drei Minuten zum Volltanken, so wartet der Linienbus 15 Minuten an der hauseigenen Tankstelle. Das genügt für eine Reichweite von rund 300 Kilometern. Bei anderen Nutzfahrzeugen wie Lkw beispielsweise könnte die Reichweite bei gleichem Tankvolumen sogar noch steigen, doch mit Wasserstoff gespeiste Linien- oder Reisebusse verwenden die elektrische Energie sowohl für den Fahrbetrieb als auch die elektrischen Verbraucher. Und davon gibt es nicht wenige: Klimaanlage, Heizung, Innenbeleuchtung, elektrisch betriebene Türen und mehr.

Doch der Blick auf die reine Reichweite ist nicht alles. „Der Wasserstoff-Bus ist 50 Prozent energieeffizienter als ein vergleichbarer Bus mit Dieselantrieb“, sagt Dr. Ing. Thomas Jordan, Leiter der Wasserstoffgruppe am KIT. Dem Einsatz von sieben Kilogramm Wasserstoff steht ein Verbrauch von 40 Litern Diesel (11,9 kWh/kg) auf 100 Kilometer gegenüber.  Die größere Energiedichte lässt den Wasserstoff-Bus mit weniger Energieeinsatz effektiv weiter fahren. Darüber hinaus erwartet Jordan bei einem zunehmenden Angebot an grünem Wasserstoff fallende Energiepreise. Doch die Sache hat einen Haken: ein H2-Bus kostet bei Mercedes 800.000 Euro. Vergleichbare Diesel-Hybrid-Busse kommen auf 300.000, einfache mit Dieselantrieb auf 250.000 Euro. „Für ein privates Busunternehmen ist diese Preisdifferenz nicht realisierbar und ohne hohe Stückzahlen lassen sich die Kosten auch nicht relevant reduzieren“, weiß Jordan.

Die Kosten sind auch anderswo ein Knackpunkt, beispielsweise im Billiglohnland China. Obwohl die Asiaten mit großzügigen Subventionen bis 2030 eine Million H2-Fahrzeuge auf der Straße sehen wollten, hat die Regierung die Fördermaßnahmen kürzlich gestoppt. Grund: Die Industrie hätte weder einen Durchbruch, noch eine rasche Entwicklung erzielt. Immerhin sollen 2022 bei der Winter-Olympiade in Peking 1800 H2-Busse für Besucher und Athleten bereitstehen.

Rentabilität problematisch

Im Wettbewerb mit der Elektromobilität hapert es aber auch bei der grünen Wasserstoffproduktion an der Rentabilität: Bei der Umwandlung wird noch zu viel Energie verbraucht. Abhilfe stellt eine Studie der Technischen Universität München und der Universität Mannheim in Aussicht, die auf flexible Produktionsanlagen setzt. Diese können sowohl Strom ins Netz einspeisen, als auch für die Wasserstoffproduktion nutzen und damit auf die Schwankungen der Windkraft und der Preise am Strommarkt reagieren. Die Betreiber sollten dabei immer entscheiden können, ob sie die Energie verkaufen oder umwandeln wollen.

Weitere Anwendungsfälle mit Wasserstoff:

Titelfoto: stock.adobe.com/© malp


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