29.04.2021 Thomas Schreiner

Deutschland drückt beim fahrerlosen Fahren aufs Gas

Die Bundesregierung hat ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die Einführung hochautomatisierter Fahrfunktionen im Regelbetrieb beschleunigen soll. Deutschland soll in diesem Bereich weltweit zum Vorreiter werden. Auto&Reise hat sich bei Herstellern und Zulieferern umgehört, wie sie das Vorhaben beurteilen.


Verkehrsminister Andreas Scheuer bemüht gerne das Bild vom Turbo, wenn es darum geht, Projekte voranzutreiben. Nach missratener Pkw-Maut und kritikwürdigen Auftritten im zugehörigen Untersuchungsausschuss sowie Startschwierigkeiten der neuen Verwaltungsorganisation Autobahn GmbH braucht der Bundesverkehrsminister ein Erfolgserlebnis. Darum wirft er einen weiteren Turbo an, einen für Fahrzeuge ohne Fahrer.

Deutschland soll nach dem Willen des Ministers die weltweite Führungsrolle beim sogenannten autonomen Fahren übernehmen. Im Februar hatte die Regierung dazu ein Gesetzespaket beschlossen, das den Weg für computergesteuerte Fahrzeuge freimachen soll und aktuell in Bundestag und Bundesrat verhandelt wird.

Bereits seit 2017 gibt das Gesetz zum automatisierten Fahren den Rahmen für hochautomatisierte Fahrzeuge vor. In bestimmten Szenarien können diese selbstständig Fahraufgaben übernehmen, ein Fahrer muss aber immer an Bord sein. Mit dem neuen Gesetz zum autonomen Fahren soll nun ein weiterer Schritt in Richtung Roboterauto folgen. In festgelegten Betriebsbereichen (Beispiele siehe Kasten unten) sollen laut Bundesverkehrsministerium (BMVI) im ganzen Land autonome Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr fahren dürfen, ohne dass dafür vorher einzelne Sondergenehmigungen erteilt werden müssen. Es wird in den konkreten Szenarien dann möglich sein, auf den bisher aus Sicherheitsgründen noch notwendigen Fahrer zu verzichten. Ganz ohne Überwachung soll es aber auch nicht gehen. Eine Art Leitwarte soll als technische Aufsicht dienen, um notfalls eingreifen zu können, wenn das Fahrzeug selbst nicht mehr in der Lage ist, sicher zu agieren. Ein Mensch als allerletzte Instanz bleibt also immer noch im Spiel, wenn auch außerhalb des Fahrzeugs.

Industrie steht in den Startlöchern

2022 soll der Regelbetrieb losgehen. Mit dem Vorhaben will die Regierung Rechtssicherheit schaffen und der heimischen Autoindustrie eine gute Position in einem technischen Innovationsbereich sichern. Sie rennt damit offene Türen ein.

„Wir begrüßen die Gesetzesinitiative“, sagt etwa Dr. Thorsten Leonhardt, Leiter Verbraucherschutz, Homologation und Rechtsservice automatisiertes Fahren bei Cariad, einem Automotive-Software-Unternehmen innerhalb des Volkswagenkonzerns. „Neue gesetzliche Rahmenbedingungen für das autonome Fahren in Deutschland sind wichtig, um einem Standortnachteil gegenüber den USA und China mit ihrer relativ offenen Regulierungsstrategie entgegenzuwirken.“ Rechtliche Rahmenbedingungen und technologischer Fortschritt müssten allerdings Hand in Hand gehen, wie Christian Senger, Bereichsleiter Autonomes Fahren bei VW Nutzfahrzeuge betont: „Wir setzen uns dafür ein, dass international eine Angleichung der rechtlichen Kriterien erreicht wird, denn diese Technologie hat das Potenzial, die Sicherheit im Straßenverkehr deutlich zu steigern.“ Senger hebt dabei die besonderen Verhältnisse in Europa hervor, hier gebe es viele historische Stadtkerne mit engen Gassen und dichtem Verkehr. „Der ,digitale Fahrer‘ muss die Komplexität einer Stadtfahrt souverän beherrschen und darf dabei auch nicht zögerlich fahren, um in den normalen Stadtverkehr zu passen.“

Torsten Gollewski, Executive Vice President Autonomous Mobility Systems beim Zulieferer ZF verspricht sich einen hohen gesellschaftlichen Nutzen, etwa für „fahrplanlosen Busverkehr in der Stadt oder eine höhere Bustaktung im ländlichen Raum“. Herausforderungen erkennt er für Stadtplaner: „Autonome Verkehrsmittel in die urbane Mobilität zu integrieren, macht vor allem dann Sinn, wenn sich ein Stau, eine Brücke oder gar ein mautpflichtiger Abschnitt damit umfahren lässt. Allerdings braucht es dafür auch Raum, der in manchen Städten eh schon Mangelware ist, da sie entstanden, bevor es Fußgänger- oder Radwege sowie den ÖPNV gab.“

Internationale Regeln werden gefordert  

Der deutsche Vorstoß zum autonomen Fahren ist zunächst als Übergangsregelung gedacht, bis eines Tages seitens der Europäischen Union verbindliche rechtliche Vorgaben folgen. Mitte des Jahres soll das Gesetz mit der Zustimmung des Bundesrates bereits beschlossen werden. Dann geht es darum, praktische ­Erfahrungen zu sammeln. Ähnlich wie BMW hat Mercedes – zusammen mit Bosch – ganz konkret die automatische Parkfunktion Automated Valet Parking im Blick und nimmt die eigene Branche in die Pflicht. Man sei gemeinsam mit den Zulassungsbehörden für eine sichere Markteinführung solcher Technologien verantwortlich, bekennt das Unternehmen. Gleichzeitig hofft die gesamte Industrie auf den globalen Einfluss der Bundesregierung. „Deutschland muss weiterhin die Weiterentwicklung internationaler Rahmenbedingungen vorantreiben. Damit können neue Technologien nicht nur im Heimatmarkt, sondern auch weltweit erfolgreich eingeführt werden“, erklärt Armin Gräter, Technischer Produktmanager für automatisiertes Fahren bei BMW, stellvertretend für viele Stimmen. Der politische Wille zur Umsetzung ist jedenfalls da, steht die Förderung des autonomen Fahrens doch seit Jahren im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung.

 

Beim sogenannten Automated Valet Parking lassen sich Autos ferngesteuert auf einem Parkplatz abstellen. Foto: Bosch

In solchen Szenarien sollen sich Fahrzeuge bald ohne Fahrer regulär bewegen dürfen:

  • Shuttle-Verkehre
  • automatische Personentransport-Systeme für kurze Strecken
  • fahrerlose Verbindungen zwischen Logistikzentren (Hub-2-Hub-Verkehre)
  • nachfrageorientierte Verkehrsangebote in Randzeiten im ländlichen Raum
  • Dual-Mode-Fahrzeuge, z. B. für „Automated Valet ­Parking“ (Der Fahrer kann das Fahrzeug per Befehl über das Smartphone selbstständig in eine Parkgarage fahren lassen.)

 

Titelfoto: Hochbahn


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