21.02.2022 Bettina Glaser

Dachschaden: Was passiert nach einem Hagelunwetter mit Reisemobilen?

Extreme Wetterphänomene treten auch in Deutschland immer häufiger auf. So entluden sich im vergangenen Jahr zahlreiche starke Hagelunwetter. An Reise­mobilen hinterließen die Eiskörner besonders kost­spielige Spuren, die der ein oder andere Besitzer während des ­Winters hat beseitigen lassen. Ein Einblick.


Es war in der Nacht vom 21. auf den 22. Juni 2021, als im niederbayerischen Bad Füssing eine Unwetterfront aufzog. „Statt einzelnes ‚klack, klack, klack‘ auf dem Dach hörten wir nur noch ein ohrenbetäubendes Rauschen, so viele und große Hagelkörner kamen vom Himmel“, erzählen Urlauber auf einem Campingplatz in der Nähe von Bad Füssing hinterher. Als die riesigen Hagelkörner Dachhauben von Wohnwagen und Reisemobilen einschlugen, hätten sie vor Angst geschrien. Der Anblick, der sich den Urlaubern hinterher bot, ließ manchen erfahrenen Camper ordentlich schlucken: zertrümmerte Dachhauben, verdellte Campingfahrzeugdächer, eingeschlagene Solarzellen.

Mehr Hagelschäden
So wie in Bad Füssing ging es im vergangenen Jahr vielen Wohnanhänger- und Wohnmobilbesitzern, wie Sachverständige, Werkstattmitarbeiter und Versicherer berichten. Zwar führt der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) keine extra Statistik für Freizeitmobile, und Sturm-, Hagel- und Blitzschäden werden in der Kaskoversicherung nicht unterschieden. Dennoch gibt die Kfz-Gesamtstatistik einen gewissen Einblick. Für Juni 2021 meldete der GDV für die Kraftfahrtversicherer den viertgrößten Hagelschaden seit Beginn der Statistik. „Im Juni waren vor allem Kraftfahrzeuge durch schwere Hagelschäden mit einem Schadenaufwand von rund 700 Millionen Euro betroffen“, sagt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Genauer: 275000 Fahrzeuge. Die Schäden durch Naturgefahren werden Experten zufolge mehr. „In den letzten Jahren war aufgrund der Klimaveränderung eine deutliche Zunahme an mittelstarken und starken Hagelschäden festzustellen“, berichtet Gerolf Happel, Leiter des gleichnamigen Ingenieurbüros für Fahrzeugtechnik, das sich auf die Begutachtung von Sonderfahrzeugen wie Reisemobile, Caravans und Expeditionsfahrzeuge spezialisiert hat. Der Durchschnitts-Hagelschaden bei Wohnwagen liege aktuell bei ungefähr 4500 bis 5000 Euro ohne Mehrwertsteuer, bei Reisemobilen bei 8000 bis 10000 Euro ohne Mehrwertsteuer.

Mithilfe eines Streifensegels kann der Gutachter Dellen besser wahrnehmen und so Menge, Größe und damit den Reparaturaufwand genauer einschätzen. Foto: Bettina Glaser

Dellen-Begutachtung
Bevor ein Schaden repariert werden kann und z. B. ein Dach ausgetauscht wird, muss dieser der Versicherung gemeldet werden (siehe Kasten S. 27). Ein paar Wochen nach dem Unwetter in Bad Füssing wird so auch Erich Kronester, Gutachter beim Kfz-Sachverständigenbüro Noderer, von einem Versicherer zu einem der in Bad Füssing beschädigten Wohnmobile geschickt. Als er oben auf der Leiter steht und das ganze Dach überblickt, entfährt ihm: „Oh weh, oh weh. Bei dem Ausmaß, was ich da sehe, ist erstaunlich, dass noch was da ist.“ Das Dach ist vollständig von tiefen Dellen übersät. Der Gutachter, der auf knapp 40 Jahre Erfahrung zurückgreifen kann, sagt: „Ich sehe viele Hagelschäden, auch bei Wohnmobilen, aber das hier ist schon enorm.“ Um den Schaden zu beurteilen, nimmt er ein Streifensegel zu Hilfe, ein gespanntes Tuch mit schwarz-weißen Streifen wie bei einem Zebra. Hiermit bricht sich das Licht so, dass die Dellen viel stärker zum Vorschein kommen. Vor allem auf der grauen Motorhaube kann Kronester dadurch die Tiefe und Anzahl besser beurteilen. Auf dem Dach des Wohnmobils ist das Streifensegel jedoch fast überflüssig. „Da brauche ich nicht viel schauen, man sieht es wunderschön“, sagt er. Auch die Wände und das Heck nimmt der Gutachter genauestens unter die Lupe, ebenso wie Standklimaanlage, Solarzellen und Dachhauben.

Drei Kategorien
Eingestuft wird ein Hagelschaden je nach Anzahl der Hageldellen pro Quadratmeter, Dellen-Durchmesser und Einschlagtiefe in die Kategorien leicht, mittel oder schwer. Berücksichtigt wird auch, ob es sich um beschädigtes Aluminium oder um GFK-Bauteile handelt. „Erfahrungsgemäß äußern sich die Hageldellen an GFK-Außenhäuten weniger tief als an Alu-Außenhäuten“, sagt Happel. Jedoch seien bei mittelschweren Hagelschäden anGFK-Außenhäuten vermehrt oberflächliche Risse, sogenannte Spinnenrisse, zu erkennen, die zwar mit bloßem Auge kaum feststellbar sind, aber mit Graphitpuder zum Vorschein kommen.
Um das Gutachten anzufertigen, werden die Kosten zweier Reparaturwege gegenübergestellt: auf der einen Seite die Instandsetzung durch Reparaturlackierung und auf der anderen Seite der komplette Austausch. Bei der Entscheidung hilft Gutachtern das Caravan-Reparatur-Handbuch des Caravaning Industrie Verbands (CIVD) mit Tabellen, die speziell für die Hagelreparatur entwickelt wurden. Zum Vergleich: Ein Dachaustausch für ein Wohnmobil schlägt laut Frank Grimm, Teamleiter im Bereich Unfallinstandsetzung beim Erwin Hymer Center, mit 12 000 bis 15 000 Euro zu Buche, beim Spachteln und Lackieren ist es ungefähr die Hälfte. Bei starkem Hagelschlag – da sind sich die Experten einig – sind Spachteln und Lackieren technisch allerdings nicht einwandfrei möglich.

Über 90 Prozent der Kabinenaufbauten von Wohnwagen und Wohmobilen werden in Sandwichbauweise gefertigt: Das Außenblech oder die GFK-Außenhaut ist mit dem Isoliermaterial verklebt. Foto: Bettina Glaser

Reparatur oder Geld?
Über 70 Prozent der Hagelschäden werden fiktiv abgerechnet, weiß Happel, d. h.
der Versicherungsnehmer bekommt von der Versicherung die im Gutachten genannte Schadensumme ohne Mehrwertsteuer ausbezahlt. Er gibt zu bedenken, dass hier bei eventuell auftretenden starken Nachschäden das nicht reparierte Bauteil für die Versicherung abgerechnet ist und danach keine oder nur eine teilweise Entschädigung erfolgt. „Gerade, wenn man den Wert erhalten und das Fahrzeug über Jahre fahren möchte, sollte man den Schaden reparieren lassen“, sagt Grimm vom Erwin Hymer Center. Und Happel rät: „Auf jeden Fall repariert werden sollten Hagelschäden, wenn diese an Aluminium-Bauteilen ab einer Kategorie mittlerer Stärke vorliegen oder wenn an der Außenbeplankung an GFK-Bauteilen sichtbare Beschädigungen auftreten. Hier können sich Risse in der GFK-Außenhaut bilden, welche sich im Laufe der Zeit durch Witterungsverhältnisse vergrößern.“ Feuchtigkeitsschäden könnten als Folge auftreten. Doch gerade bei einem Dach- oder Wandaustausch haben viele Wohnmobilbesitzer  – laut Happel schätzungsweise 50 Prozent – Angst, dass der Aufbau undicht werden könnte. Damit das nicht passiert, rät der Sachverständige zu einer fachgerechten Reparatur, am besten im Werk.

Komplexer Eingriff
Im Erwin Hymer Center in Bad Waldsee am Standort des gleichnamigen Wohnmobilherstellers werden jeden Monat ein bis zwei Hageldächer ausgetauscht. Die Werkstatt ist für die nächsten Monate bereits ausgebucht, die Kunden kommen aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland. Wie wichtig es ist, dass jeder Handgriff sitzt, wird schnell deutlich, wenn man Thomas Huber und Sabit Lutoli bei den Vorbereitungen für einen Dachaustausch beobachtet. Befände man sich nicht in einer riesigen, hell beleuchteten Werkstatthalle mit mehreren Wohnmobilen, sondern auf einem dunklen Parkplatz, könnte man meinen, Verbrecher wären am Werk – konzentriert dabei, das Campingfahrzeug in seine Einzelteile zu  zerlegen. Genau das ist zum Teil nämlich zunächst einmal während der insgesamt 55 Arbeitsstunden nötig. Huber und Lutoli lösen die Markise, die später wieder verbaut wird, ziehen die Fugenabdeckprofile ab und schneiden die Dichtmasse mit einer oszilierenden Säge heraus.  „Hymer ist sehr reparaturfreundlich. Da kann man Dach und Wände problemlos tauschen“, erzählt Huber. Dennoch: Jedes Fahrzeug ist anders. Das wird klar, als Lutoli Schraube für Schraube unter den Abdeckungen in den Schränken im Innenraum des Wohnmobils sucht und löst. „Wenn du eine Schraube vergisst, reißt sie dir alles raus“, erzählt er. Mit einem Eisen heben die beiden im Innenraum vorsichtig das Dach an. Um es endgültig abzunehmen, greift Huber noch einmal zur oszilierenden Säge.
Dann kommt der große Moment: Mit tellergroßen Saugnäpfen eines mobilen Krans saugen die beiden das Dach an und heben es ab. „Jetzt machen wir ein Cabrio draus“, sagt Lutoli und grinst. Im nächsten Schritt bauen die beiden die noch intakten Dachhauben und Winkel ins neue Dach um und bringen es mithilfe von Spanngurten in die gewünschte Krümmung. Wenn alles fertig verklebt, verschraubt, abgedichtet und getrocknet ist, kommt das Fahrzeug für eine Stunde in die Beregnungsanlage. „Nach der Reparatur gibt es eigentlich nie Probleme mit der Dichtigkeit. Im Gegenteil: Ältere Wohnmobile sind in ihrem Fugenaufbau dann dichter“, berichtet Teamleiter Grimm.

Schutzmaßnahmen
Es bleibt die Frage: Was können Campingfahrzeugbesitzer tun, damit es gar nicht erst zu einem Hagelschaden kommt? Bekannte Schutzmaßnahmen  sind 2-K-Dachbeschichtungen (z. B. PRC-Durabull-Dachbeschichtung, CaraSkin Hagelschutzfolien, WARU Multiprotect PVC-Schaumdach). Hymer bietet ein Hagelschutzdach an, bei dem eine GFK-Matte auf das neue Alu-Dachblech gepresst wird. Eine Frage der Kosten (ca. 1500 Euro für ein Sieben-Meter-Wohnmobil), aber auch des Gewichts (ca. 30 Kilo extra). „Das ist eine relativ gute Schutzmaßnahme gegen Hagelschlag. Der Nachteil bei diesem Hagelschutzdach ist, dass nur die Dachebene gut geschützt ist, die Dachrundungen sind ungeschützt“, sagt Happel, dessen Sachverständigenbüro sich in den vergangenen Jahren verstärkt mit den verschiedenen Möglichkeiten beschäftigt hat. „Im Ergebnis konnten wir bei unseren Tests und Versuchen eindeutig feststellen, dass diese Hagelschutzmaßnahmen nur bis maximal ‚mittelstarker Hagelschlag‘ vor Hagelschäden schützen können.“
Alles in allem lautet das ernüchternde Fazit: „Aus sachverständiger Sicht gibt es aktuell keinen Vollschutz gegen Hagelschäden und insbesondere gegen starke Hagelschäden“, sagt Happel. Da hilft nur eine Garage oder ein Unterstellquartier, um das Campingfahrzeug zumindest in den Zeiten, in denen es unter Dach geparkt werden kann, vor den Eiskörnern zu schützen.

So gehen Fahrzeugbesitzer nach einem Hagelschaden vor:

  • Den Schaden z. B. mit Fotos und Videos ­dokumentieren; Tag, Uhrzeit und Ort des Hagelschadens notieren.
  • Eingeschlagene Dachhauben, Scheiben etc. abdecken, damit das Wohnmobil nicht noch zusätzlich durch Regen beschädigt wird. Der Halter ist verpflichtet, den Schaden möglichst gering zu halten, sonst kann die Versicherung Leistungen kürzen.
  • Den Schaden umgehend telefonisch, per Fax, E-Mail oder Brief der Versicherung melden mit Tag, Uhrzeit und Ort des Hagelschlags.
  • Meist schaltet die Versicherung einen Gutachter ein, um Art der Reparatur und Schadenumfang zu ermitteln.
  • Erst dann kann der Hagelschaden in einer Werkstatt repariert oder fiktiv abgerechnet werden.

Fotos: Bettina Glaser (8), EHC Bad Waldsee (1)

Titelfoto: Bettina Glaser


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