04.01.2024 Gundel Jacobi

Freiwillige Überprüfung der Fahrtauglichkeit – hinterm Steuer und am Bildschirm

Die Herausforderungen im Straßenverkehr sind vielschichtig und erfordern entsprechende Leistungsfähigkeit. Ältere Menschen können ihre jahrzehntelange Fahrpraxis in die Waagschale werfen, was gemeinhin für routiniertes Steuern eines Autos sorgt. Es ist aber nicht daran zu rütteln, dass früher oder später gewisse Einschränkungen auftauchen, die eine sachliche Überprüfung anraten lassen. Wer sich einer freiwilligen Beobachtungsfahrt oder einem Reaktionstest unterzieht, muss mit keinerlei amtlichen Konsequenzen rechnen.

 


Die Tür fällt leise ins Schloss, der Gurt klickt, und der Motorstartknopf wird gedrückt. Eigentlich ist alles wie immer und doch ganz anders, denn neben der Testperson sitzt Stefan Halanke. Der Fahrlehrer aus Böblingen beherrscht den Spagat zwischen konzentrierten Anweisungen und lockerem Geplauder, um die Nervosität aus dem Innenraum zu verbannen. Die 75-jährige Fahrerin macht nämlich eine Beobachtungsfahrt – freiwillig, wenn auch nicht ganz aus freien Stücken. „So ist es meistens“, sagt Halanke. „Die Männer und Frauen werden von ihren Angehörigen oder Freunden geschickt. Und alle meinen es gut. Sie wollen den möglichst objektiven Blick von außen, ob der Mensch am Steuer den Herausforderungen im alltäglichen Straßenverkehr noch gewachsen ist.“ Fünfzig Minuten wird das Zweier-Gespann unterwegs sein. Auf Halankes Knien liegt ein Beobachtungsbogen im DIN-A4-Format mit unterschiedlichen fahrerischen Verhaltensbereichen, die in der Stadt, über Land und auf der Autobahn von ihm eingeschätzt werden. Die Augen der Seniorin sind nach vorne gerichtet. Gleich kann’s losgehen.
 

Fahrlehrer Stefan Halanke kann dieser 75-jährigen Probandin hinter dem Steuer während der Feedbackfahrt vorbildliche Fahreignung bescheinigen. Foto: Gundel Jacobi

Feedbackfahrt mit Fahrlehrer

Eine amtliche Überprüfung der Fahrtauglichkeit im fortgeschrittenen Alter ist ein heißes Eisen, das viele aus unterschiedlichen Gründen nicht anfassen mögen: weil in einer freien Gesellschaft schnell zu viel Gängeln befürchtet wird, weil immer noch des Deutschen liebstes Kind sein Auto ist, weil es Sorgen um die Konsequenzen eines nicht erteilten Fahr-Freibriefs gibt, oder weil der enorme Aufwand hinter einer solchen verbindlichen Maßnahme in einer zunehmend alternden Bevölkerung einige Beteiligte ins organisatorische Chaos stürzen könnte. Tatsache aber ist, dass entgegen jeglicher Beteuerungen, wie jung geblieben die heutigen Menschen in ihrem ungefähr letzten Lebensdrittel sind, ein gewisser Alterungsprozess irgendwann unweigerlich eintritt. Dies wirkt sich aufs Sehen, Hören, die Beweglichkeit und Leistungsfähigkeit aus. Zugegebenermaßen handelt es sich dabei jedoch um eine höchst individuelle Entwicklung der körperlichen und geistigen Eigenschaften. Dass die Sinne intakt sind, ist jedoch unabdingbar bei der fahrtüchtigen Teilnahme am Straßenverkehr – jedenfalls, solange es noch kein komplett automatisiertes Fahren gibt.

Zurück zur Beobachtungsfahrt, die in der Regel im Fahrschulwagen stattfindet. Klar, denn der Beobachter möchte Eingriffsmöglichkeiten haben, falls es zu brenzligen Situationen käme. Zweifellos ist dies eine kleine Hürde, denn wer setzt sich schon gerne hinters Steuer eines fremden Wagens und wird in diesem ungewohnten Auto auch noch unter die Lupe genommen?

Am heutigen Tag verläuft die Tour ziemlich entspannt. Man merkt der Probandin ihre Routine an, was Halanke zur Beruhigung aller Nerven ihr auch mitteilt. „Blinker setzen, Schulterblick und aufmerksames Schauen im Stadtverkehr funktioniert prima“, erklärt er und fügt schließlich hinzu: „Das ist nicht immer der Fall. Auch wenn meine Erfahrung zeigt, dass derjenige, der überhaupt den Weg zu mir findet, eher sicher ist in der Fahrpraxis. Allerdings überschätzen sich doch manche. Sie erwarten, dass sie sich einfach nur den Freischein abholen. Diesen Zahn muss ich aber ab und an ziehen.“

Rückmeldungen ohne amtliche Folgen

Während sich die einmalig zusammengesetzte Gemeinschaft unter Federführung der Fahrerin zügig auf die Autobahn einfädelt und sie sich ein „Vorbildlich gemeistert!“ einheimst, klärt Halanke darüber auf, welche bindenden Folgen eine solche beobachtete Tour hat, nämlich: keine. Etwaige Schlüsse daraus können die Überprüften nur in Eigenverantwortung ziehen. „Meine Einschätzung hilft im Einzelfall zum Beispiel, wenn ich jemandem rate, nicht mehr über Land zu fahren, weil zu viele Unsicherheiten während unserer Fahrt aufgetreten sind.“

Halanke hat jede Menge Geschichten auf Lager. Vom älteren Herrn, der seinen Kopf nicht mehr drehen kann. Oder von der bejahrten Dame, die in der Tempo-30-Zone diese gar nicht wahrnimmt und stur die Tachonadel auf 50 hält. Bis hin zum Pensionär, der große Schwierigkeiten hat, die Spur zu halten. „Manchmal öffnen sich meine Kunden auch von selbst und erzählen mir, dass sie nicht mehr gut in ihre Garage rein- oder aus ihr rauskommen. Dies werten sie als Alarmzeichen und tauchen dann bei mir auf“, sagt Fahrlehrer Halanke.
 

Auto und Fahrrad auf einer Fahrbahn, das kommt häufig vor. Bei Feedbackfahrten können ältere Verkehrsteilnehmende wertvolle Tipps auffrischen, wie sie alltägliche Situationen wie diese sicher bewältigen. Foto: stock.adobe.com/© Wellnhofer Designs

Pauschale Urteile seien vielfach gar nicht das Wesentliche, sondern es gelte, auf den Einzelfall einzugehen. Man könne nämlich die Wahrnehmung für Gefahrensituationen durchaus wieder schärfen. Wie auf Kommando passiert eine derartige Situation während der Testfahrt: Die Versuchsperson schlängelt sich auf einer engen Landstraße durch die Kurven, als plötzlich ein Radfahrer in derselben Richtung vor ihr auftaucht. Gerade, als sie zum Überholen ansetzt, erscheint ein Auto auf der Gegenfahrbahn. Halanke muss gar nicht tadeln. Die Probandin reagiert schuldbewusst und verkündet, sie werde in Zukunft wieder stärker auf solche möglichen Störfaktoren achten – und auch den Schlendrian abstellen, den Abstand zu einem Radler nur mit knappem Augenmaß zu betrachten.

Halanke ergänzt, dies seien Verhaltensweisen, die vollkommen altersunabhängig aufträten. „In der Theorie weiß man einiges, was sich aber im Laufe der Zeit in der Praxis verwäscht und sich in riskantes, mitunter gar vorschriftswidriges Verhalten ummünzt. Oft zu beobachten: Schon wenn ein Fußgänger am Zebrastreifen ankommt, heißt es unmissverständlich anzuhalten, selbst wenn man noch rasch vor ihm drüberrollen könnte.“

Veränderungen oft unproblematisch

Neben all den kniffligen Verhaltensweisen, aber auch völlig unkritisch durchfahrenen Herausforderungen verweist Halanke auf ein ebenfalls öfter auftretendes Phänomen: Besorgte Verwandte würden den Vater oder die Großmutter als Problemfall schildern, weil er um die Kurven schleiche oder auf Autobahnfahrten ungern Spurwechsel vornehme. „Wenn wir dann eine Beobachtungsfahrt machen, stellt es sich heraus, dass gewisse Manöver in der Tat gemächlicher ablaufen – aber stets mit der gebotenen Vorsichts- und Übersichtshoheit, was auch in Ordnung geht. Dann erkläre ich den jüngeren Generationen, dass sie diese zurückgenommene Fahrweise einfach akzeptieren müssen, auch wenn sie ihren Papa früher anders erlebt haben.“

Am Ende der Fahrt ist die Ruheständlerin erkennbar froh, diese zweifelsohne ungewohnte und auch mit einem leicht mulmigen Gefühl angetretene Begleittour hinter sich gebracht zu haben: „Natürlich ist es in meinem Alter merkwürdig, sich einer Art Prüfung zu unterziehen. Ganz ehrlich: Es war nicht so schlimm wie ein Besuch beim Zahnarzt.“ Am nächsten Tag wird sie den Beurteilungsbogen bekommen, auf dem ihr neben ein paar Unsicherheiten bescheinigt wird, dass sie souverän im Auto unterwegs ist. In Jubel bricht sie dennoch nicht aus, denn ihr ist bewusst, dass es sich um eine Momentaufnahme handelt.

Vertraulichkeit auch beim Mobilitäts-Check

Ortswechsel, Personenwechsel, aber kein Themenwechsel – nur die Maßnahmen zur Überprüfung der Fahrtauglichkeit sind andere: Die Dekra-Begutachtungsstelle für Fahreignung (BfF) lädt zum Mobilitäts-Check. Obwohl das ein bisschen sperrig und hochamtlich klingt, ist Dekra ebenso wie jede andere Organisation zur Schweigepflicht und strikten Vertraulichkeit in Bezug auf die freiwillige Fahrtauglichkeitsüberprüfung verpflichtet. Es gibt bundesweit rund drei Dutzend dieser Dekra-BfF – der Termin mit einem 78-jährigen Probanden findet in Köln statt. Er ist zur verkehrspsychologischen Untersuchung und Beratung angemeldet, und es dauert alles in allem nicht länger als eine Stunde.
 

Die Dekra-Begutachtungsstelle für Fahreignung in Köln ist eine von zahlreichen Stellen in Deutschland, wo Senioren ihre Fahrtauglichkeit bei einem Mobilitäts-Check bewerten lassen können. Foto: Gundel Jacobi

Anfangs wird ein Fragebogen ausgefüllt, in dem der Rentner Angaben zu seiner Fahrerfahrung und Gesundheit macht. Dies dient dazu, dass die Psychologin einen Eindruck über den aktuellen Stand gewinnt, sofern es Einfluss auf die Fahreignung hat. Diplom-Psychologin Petra Schulz-Ruckriegel ist die Fachabteilungsleiterin „Mensch und Gesundheit“ der Kölner Dekra-BfF und nutzt den ersten Kontakt, um sich ein bisschen aufeinander einzuschwingen und das Vertrauen des Kunden zu gewinnen: „Wie schätzen Sie Ihre Leistungen und Fähigkeiten am Steuer im Vergleich zu früher ein? Das ist ganz spannend, wenn zunächst keine nennenswerte Veränderung beschrieben wird und ich dann danach frage, was seine Frau oder eine andere regelmäßig mitfahrende Person dazu sagen würde.“ Der Ruheständler erwähnt hingegen sofort, dass er mittlerweile lange Strecken meidet und sich damit arrangiert, indem mehr Pausen eingelegt oder Fahrerwechsel gemacht oder auch Zwischenübernachtungen eingeplant werden.
 

Vor Beginn des Checks bei Dekra in Köln nutzt Diplom-Psychologin Petra Schulz-Ruckriegel das persönliche Gespräch, um eine positive Grundstimmung zu erzeugen und den Probanden besser kennenzulernen. Foto: Gundel Jacobi

Reaktionsfähigkeit als wichtiger Faktor

Die Stimmung im Raum ist nach einer knappen Viertelstunde gelöst, auch wenn der Proband eine gewisse Neugier nicht verbergen kann, wie es weitergeht. Er weiß nur, dass im zweiten Schritt ein Reaktionstest gemacht wird. Dazu nimmt er in einem kleinen Raum vor einem Computer Platz. Eine Mitarbeiterin erklärt ihm die Tastatur, auf der er vier Druckknöpfe bedienen muss – je nachdem, in welche Richtung jeweils ein einzelner Pfeil kurz auf dem Bildschirm erscheint. Die Aufgabe ist denkbar einfach, allerdings geht es vor allem um Schnelligkeit. Er kann zunächst üben und bekommt noch den Hinweis, dass er am besten die Finger direkt über dem Tastenfeld schweben lässt. Nach dem Probelauf signalisiert er, klarzukommen, und so lässt sie ihn schließlich mit dem kurzen Test allein. Dies wiederholt sich in ähnlicher Einführungs- und Probeweise noch zweimal, wobei die Aufgaben ein wenig anspruchsvoller werden, weil mehrere Zeichen auf dem Computer erscheinen. Einmal hört man während des Tests von draußen ein beherztes Fluchen des 78-Jährigen, wozu er nachher sagt: „Da habe ich falsch gedrückt, bemerkte es gleich und brauchte etwas Zeit, wieder reinzukommen.“
 

Der Reaktionstest ist ein standardisiertes Verfahren während des Mobilitäts-Checks. Er hilft dabei zu bewerten, wie gut jemand für die Herausforderungen des komplexen Verkehrsgeschehens gerüstet ist. Foto: Gundel Jacobi
Foto: Gundel Jacobi

Kurz darauf kommentiert dies Schulz-Ruckriegel im Besprechungszimmer so: „Jeder ist bei solch einem Test natürlich ein wenig aufgeregt. Und man muss schon konzentriert bei der Sache sein.“ Der Moment ist gekommen, auf den die Testperson besonders gespannt ist, da die Befunde ausgewertet sind und im Rückmeldegespräch formuliert werden: „Sie haben hervorragende Testergebnisse.“

Persönliche Analyse mit dem Probanden

Auf Nachfrage erläutert die Psychologin die theoretischen Hintergründe der drei Aufgabenblöcke, die das Reaktionsvermögen, die Konzentrationsfähigkeit sowie die Aufmerksamkeit untersucht haben. Die Ergebnisse werden auf einer Prozentskala eingeordnet, die alle Teilnehmer umfasst, also das Alter nicht berücksichtigt. Im vorliegenden Test ordnete sich der Kandidat bei 100, 99 und 54 Prozent ein – mehr als zufriedenstellend. Allgemein gilt: Sollten bei den einzelnen Aufgaben die Ergebnisse bei 16 Prozent oder weniger liegen, käme laut Schulz-Ruckriegel die Kundin oder der Kunde in kritische Gefilde, was das Steuern eines Autos betrifft.

Sie betont jedoch einmal mehr, selbst wenn es ein solches Ergebnis gäbe, würde die Dekra-BfF im Rahmen der freiwilligen Tests keinerlei Informationen an Straßenverkehrsbehörden weiterleiten. Man spreche dann mit den Betroffenen darüber, ob es womöglich einen speziellen Grund für das negative Abschneiden beim Test geben könnte, der eine Wiederholung zu einem anderen Zeitpunkt anraten würde. Unter Umständen sei auch eine praktische Beobachtungsfahrt denkbar, die ebenfalls von Dekra angeboten wird. „Solche für den Betroffenen niederschmetternden Ergebnisse kommen nicht allzu oft vor, aber wenn doch, dann raten wir vom weiteren Führen eines Fahrzeugs ab.“ Ansonsten sind die psychologischen Profis in der Lage, im Einzelfall über mögliche Schwachstellen des alltäglichen Fahrverhaltens zu reden und gemeinsam mit dem Prüfling praktische Strategien und Empfehlungen mit auf den Weg zu geben. Meistens endet der Dekra-Besuch mit der Übergabe eines Zertifikats, in dem das zufriedenstellende Ergebnis bescheinigt wird.

Ohne in die Tiefen des Verfahrens abzutauchen, stellt sich generell die Frage, was ein Reaktionstest mit der Eignung, ein Fahrzeug zu führen, zu tun hat. Petra Schulz-Ruckriegel hat darauf eine ebenso klare wie einleuchtende Antwort: „Wer verantwortlich am komplexen Verkehrsgeschehen teilnimmt, muss grundsätzlich und jederzeit in der Lage sein, rasch zu reagieren. Dies überprüfen wir verlässlich in einem standardisierten Verfahren.“

Gutes Gefühl und wertvolle Tipps

Der 78-jährige Proband hält am Ende des Vormittags sein Zertifikat in Händen und zieht ein persönliches Fazit: „Prüfungen sind in meinem Alter immer ungewöhnliche Situationen, aber ich bin froh, dass ich diesen Mobilitäts-Check gemacht habe. Wichtig war für mich nicht nur der Reaktionstest, sondern auch das Gespräch. Mir ist nun einiges viel bewusster, und ein paar hilfreiche Tipps kann ich auch mitnehmen.“

Im Grunde spielt es keine Rolle, ob man eine Beobachtungsfahrt bei einer dafür geeigneten Fahrschule macht oder zu einer Organisation geht, die professionelle Reaktionstests einschließlich fundierter Beratung durchführt. Wer für sich selbst ein Stück Sicherheit bekommen möchte, wählt am besten aus, was einem angenehmer erscheint, oder macht beides. Freiwillig, verantwortungsvoll und ohne amtliche Konsequenzen.
 

Unser 78-jähriger Proband nimmt sein Zertifikat von Diplom-Psychologin Petra Schulz-Ruckriegel entgegen, das zum alleinigen persönlichen Gebrauch bestimmt ist. Es enthält zum Nachlesen eine Zusammenstellung der durchgeführten Maßnahmen sowie Verhaltensempfehlungen aufgrund der Check-Ergebnisse. Foto: Gundel Jacobi

Wer bietet Fahrtauglichkeits-Checks an? 

Es gibt keinen allgemein gültigen Test, wie ältere Menschen ihre Fahrtauglichkeit überprüfen können. Oberstes Gebot bei allen Maßnahmen: Freiwilligkeit und Vertraulichkeit. Verkehrsexperten raten, alle zwei Jahre Hör- und Sehtests zu machen. Unterschiedliche Organisationen bieten diverse Möglichkeiten an. Abgesehen von Online-Selbsttests fallen in der Regel jeweils zu erfragende Kosten an.

 

Titelfoto: stock.adobe.com/© Peter Maszlen


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