02.08.2023 Bettina Glaser

Intensive Momente – Mehr Achtsamkeit beim Reisen

Achtsames Reisen liegt im Trend. Aber muss man dafür gleich eine Auszeit mit Yoga und Ayurveda buchen? Oder ein paar Tage in einem Meditationszentrum verbringen? Wir meinen „nein“. Und haben uns auf die Suche gemacht nach Tipps für jedermann. Für ein intensives Reisen. Für mehr bewusstes Erleben. Für Urlaubsmomente, von denen man auch hinterher noch lange zehren kann.


Die Ansprüche an unseren Urlaub sind oft hoch: Viele wollen in den arbeitsfreien Wochen die schönste Zeit im Jahr erleben. „Durch unser eng getaktetes Arbeitsleben fiebern wir regelrecht auf eine Reise hin, überfrachten sie womöglich mit allen möglichen Erwartungen: Erholung, Entdeckung, neue Impulse, Ausspannen ... und in vielen Fällen ist dieser Plan zum Scheitern verurteilt. Die achtsame Beobachtung unserer Umgebung und unseres eigenen Befindens tritt oft dahinter zurück“, beobachtet Yogalehrerin und Autorin Ingrid Ickler, die mit ihrem Kartenset „Achtsames Reisen“ (siehe Artikelende) den Fokus auf das Thema lenken möchte, ohne mit dem Zeigefinger zu winken.

 

Es ist oft die Erinnerung an kleine Momente, von der man nach einer Urlaubsreise lange zehren kann: das Einatmen der klaren Bergluft, das Spüren des feinen Sandes an den Füßen, der Austausch mit Einheimischen, das Leuchten der Obst- und Gemüsesorten am Markt oder der Sprung ins frische Wasser. Foto: stock.adobe.com/© Antonioguillem/© Smile/© Flamingo Images/© Benedikt/© BalanceFormCreative

Kein Wunder, wenn ein Foto nach dem anderen geknipst, eine Sehenswürdigkeit nach der anderen abgeklappert und die Fotos davon sofort an Bekannte verschickt oder in den sozialen Medien geteilt werden. „Unsere Welt dreht sich vermeintlich immer schneller. Es wirkt einerseits immer mehr auf uns ein, andererseits ist für viele von uns immer mehr möglich. Bei diesen zahlreichen äußerlichen Reizen und inmitten der Beschleunigung sehnen sich viele Menschen nach dem Gegenteil: Nach der Rückbesinnung auf sich selbst und nach Entschleunigung“, erzählt Johanna Katzera. Die Managerin für angewandte Gesundheitswissenschaften und Autorin hält auf Sylt Seminare zu den Themen Achtsamkeit und digitale Balance (www.einfachachtsam.de). Doch was können Reisende tun, um aus dem Urlaub mehr Erholung und Kraft für den Alltag zu schöpfen und aufmerksamer zu reisen?

Bewusst wahrnehmen

Hier kommt das Thema achtsames Reisen ins Spiel – ein abstrakter Begriff, mit dem nicht jeder etwas anfangen kann. Ingrid Ickler versteht darunter „eine Form des bewussten Unterwegsseins – nicht unbedingt des schnellen Ankommens“. Sie nehme alle Phasen des Reisens bewusst wahr: die Planung, die Vorfreude, das Packen, das Einsteigen, das sich langsam von zu Hause Entfernen, das Aussteigen, das Beziehen der Unterkunft und so weiter. „Jeder Schritt verdient eine besondere Beobachtung, als könnte man die Zeit ein wenig dehnen“, sagt sie. Für Johanna Katzera ist Achtsamkeit „die bewusste Lenkung unserer Aufmerksamkeit nach innen oder außen. Wir nehmen mit allen Sinnen wahr, was im gegenwärtigen Augenblick innerlich in uns auftaucht und uns äußerlich umgibt. Das bringt uns ins ,Hier‘ und ,Jetzt‘“, sagt sie. Sie mache keinen Unterschied zwischen Achtsamkeit im Alltag und auf Reisen, da sie das Leben selbst als Reise verstehe. „Die achtsame Haltung während des Reisens ermöglicht tieferes Erleben von Eindrücken und Erfahrungen, geht mit Respekt gegenüber Menschen, Kulturen und der Natur einher und gewährt auch Gelassenheit“, sagt sie. Das Thema ist also auch eng mit dem Thema Nachhaltigkeit verknüpft, denn wer beim Reisen achtsam mit sich und seiner Umwelt umgeht, handelt immer auch ein Stück weit nachhaltig.
 


Die achtsame Haltung während des Reisens ermöglicht tieferes Erleben von Eindrücken und Erfahrungen.

– Johanna Katzera, Seminarleiterin zum Thema Achtsamkeit


Kampagne des DRV

Das wird auch bei der Kampagne #reisebewusst auf Instagram deutlich, die der Deutsche Reiseverband (DRV) während der Corona-Pandemie startete. Der Verband wollte damit für die sozialen und ökologischen Aspekte des Reisens sensibilisieren. Die Nachhaltigkeitsexperten des DRV erarbeiteten Tipps für achtsames Reisen und empfahlen unter anderem eine intensivere Vorbereitung und Beratung im Vorfeld und eine klimafreundliche Anreise. Als Tipps veröffentlichte der DRV auf Instagram zum Beispiel „Probiere lokale Gerichte und Getränke im Urlaubsland“, „Besuche einen Wochenmarkt vor Ort“ oder „Erkunde Deinen Urlaubsort zu Fuß“. „Unsere Prognose war, dass die Wertschätzung für Reisen nach Abklingen der Pandemie ansteigen wird – einhergehend mit einem gestiegenen Bedürfnis nach Achtsamkeit im Umgang mit Mensch und Natur“, erzählt DRV-Sprecherin Kerstin Heinen rückblickend. Die Kampagne sei sehr gut angekommen und habe ein hohes Maß an Interaktion hervorgerufen.
 

Der Deutsche Reiseverband (DRV) hat mit einer Kampagne
bewusstes Reisen in den sozialen Medien in den Vordergrund gestellt.
Foto: DRV 

Übliche Pfade verlassen

Welche praktischen Tipps kann man zusätzlich beherzigen, damit achtsames Reisen gelingen kann? Ingrid Ickler ist sich sicher, dass die Voraussetzung dafür der Wunsch nach und das Bewusstsein für achtsames Reisen ist. „Achtsamkeit ist eine Haltung. Diese Haltung zu leben, bedarf ständiger Erinnerung und zugleich auch bewusster Entscheidungen“, sagt Katzera. Schon vor der Reise sollte man sich laut Ickler ausgiebig Gedanken machen, wie und wohin man reist. Ickler und Katzera werfen Fragen in den Raum wie: „Muss es tatsächlich eine Fernreise sein? Was brauche ich, auf was kann ich verzichten? Was ist die Absicht meiner Reise? Welches Reiseziel passt zu der mir zur Verfügung stehenden Zeit?“ Sie plädieren für bewusste Entscheidungen beim Reisen. Verschiedene Reiseformen müssten reflektiert werden, genauso wie die eigenen Bedürfnisse. „Wir sollten den Automatismus ‚Urlaub = endlich ausspannen = alles erleben’ aufbrechen“, sagt Ickler.

Wenn Ickler reist, stellt sie sich folgende Fragen: „Was brauche ich gerade? Was erwarte ich von meiner Reise? Wie will ich reisen?“ Für unterwegs hat sie ein Kartenset entworfen, das als Diskussions- und Gesprächsgrundlage genutzt werden kann (siehe Artikelende). Sie lädt alle ein, damit „ausgetretene Pfade zu verlassen und etwas Neues auszuprobieren“. Weitere Inspirationen hält Grace Helmer ebenfalls mit einem Kartenset zum Mitnehmen für Reisen und Ausflüge bereit (siehe Artikelende).

Täglich und überall könne man sich in Achtsamkeit üben, sagt Katzera, „wenn wir innehalten und mit allen Sinnen achtsam wahrnehmen“. Wie das geht? „Ergründen Sie Farben, Formen, Bewegungen, Oberflächen, Geschmacksrichtungen oder Geräusche. Schauen Sie sich die Welt an, als hätten Sie die Bilder noch nie gesehen. Hören Sie hin, als hätten Sie die Laute noch nie gehört. Dieser Anfängergeist schult die Aufmerksamkeit und lässt uns kleine Wunder entdecken“, sagt die Expertin.


Wir sollten den Automatismus ,Urlaub = endlich ausspannen = alles erleben‘ aufbrechen.

– Ingrid Ickler, Yogalehrerin und Autorin zum Thema achtsames Reisen


Einfach mal abschalten

Und dann kommt noch ein ganz entscheidender Tipp von ihr: „Schalten Sie das Smartphone auf Reisen aus oder nutzen Sie es im Flugmodus. Verweilen Sie. Erleben Sie, ohne die Eindrücke unmittelbar zu teilen.“ Denn wenn wir im Urlaub weiterhin online und erreichbar seien, setze sich ein großer Teil des Alltags fort. „Wir sind zwar woanders, doch das Büro in der Hosentasche ruft uns zurück in den Alltag“, erklärt sie. Das Smartphone reiße uns aus dem Erleben und Erholen. „Um wirklich abschalten zu können, müssen wir es wörtlich nehmen: Wir müssen abschalten. Erst damit erschaffen wir uns Inseln des Innehaltens, die wir gerade wegen der Schnelllebigkeit und der geforderten Flexibilität unbedingt benötigen. Immer wieder im Alltag. Und im Urlaub erst recht“, sagt Katzera.

Sicher müssen Reisende nicht gleich alle Tipps auf einmal beherzigen. Aber vielleicht regt die ein oder andere Idee zum Nachdenken an. Oder die ein oder andere Inspiration hilft, die Reise bewusster zu erleben, neue Erfahrungen zu machen und im Alltag länger vom Urlaub zu profitieren. Einfach ausprobieren, wie Ingrid Ickler ermutigt.  „Und wenn es nicht gefällt, es wieder zu lassen.“     

 

Inspiration für unterwegs

Foto: Moses Verlag

Auf Reisen oder während einer kurzen Auszeit am Wochenende die Umgebung bewusster wahrnehmen und sie mit allen Sinnen genießen – das ist das Ziel des Kartensets Achtsames Reisen.Entschleunigt unterwegs.
Ingrid Ickler liefert hierzu auf den 50 Karten (ent)spannende und außergewöhnliche Ideen, um die Umgebung neu und intensiv zu erleben. Das Set findet in jeder Hand- oder Hosentasche Platz– eine passende Anregung ist so auch unterwegs immer zur Hand. Einfach Karte ziehen, lesen und von den neuen Eindrücken überraschen lassen!

  • Moses Verlag, 50 Karten in einer Box, ISBN 978-3-96455-167-2, € 7,95
Fotos: Moses Verlag

Ungewöhnlicher Reisebegleiter

Fotos: Laurence King Verlag Grace Helmer/Mylène Mozas

Grace Helmer hat in ihrem Kartenset Wie wir reisen. 50 Vorschläge für neue Perspektiven Ideen für außergewöhnliche Erlebnisse auf Reisen festgehalten.
Egal ob für die Erkundung im Urlaub oder beim Ausflug in die nähere Umgebung, die Karten in der praktischen Box lassen Abenteuerlustige die Welt mit neuen Augen erleben. Manche Idee hört sich erst mal verrückt oder außergewöhnlich an – wer sich darauf einlässt, wird aber mit tollen, neuen Eindrücken, intensiven Erfahrungen und Entdeckungen abseits der ausgetretenen Touristenpfade belohnt.
Übrigens: Auch die Illustrationen der Künstlerin Grace Helmer auf der Vorderseite der Karten sind inspirierend.

  • Laurence King Verlag, 50 Karten in einer Box, ISBN 978-3-96244-127-2, € 14,90
Fotos: Laurence King Verlag Grace Helmer/Mylène Mozas

Titelfoto: stock.adobe.com/© gorosi


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