Eine Nostalgie-Tour nach Schweden
Die persönliche Geschichte, von der wir Ihnen hier erzählen, klingt so außergewöhnlich, dass sie einem Drehbuch entnommen sein könnte. Es ist die Geschichte von Ingolf Heinemann und Thomas Löffelholz aus Bordenau bei Hannover, die sich knapp 60 Jahre nach dem Bau ihres Volvo PV 544, B18 auf eine 1.700 Kilometer lange Reise zurück nach Schweden zu den Wurzeln ihres Buckels begeben haben. Eine reale Geschichte mit vielen Gänsehaut-Momenten.
Der überraschende Beginn einer Reise
Der Buckel als Familienmitglied
„Es war Liebe auf den ersten Blick. Es war der Wagen, der zu mir sollte und wollte“, erzählt ARCD-Mitglied Ingolf Heinemann über den Moment vor knapp 40 Jahren, als er den Volvo PV 544, B18 das erste Mal am Maschsee in Hannover sieht. Dort bietet der schwedische Student Henrik Magnusson den Buckel, wie das Auto wegen seiner Form liebevoll genannt wird, zum Verkauf an, um sein Studium zu finanzieren. Heinemann kauft den Wagen (Foto) – damals noch mit schwedischem Kennzeichen – und muss ihn erst über das Hauptzollamt Hannover einführen. „Er ist mein täglicher Wegbegleiter gewesen und als solcher war er ein ganz treuer und zuverlässiger; und immer auch eine ästhetische Genugtuung, weil mir dieses Design nach wie vor unheimlich gut gefällt“, schwärmt Heinemann von den vielen Jahren bis Mai 2018 mit seinem Buckel. Mit diesem Wagen sind seine drei Kinder aufgewachsen, er bestreitet damit Urlaubs- und später sogar Hochzeitsfahrten. „Er war immer in meinem Leben und auch in dem meiner Familie“, erzählt der dreifache Vater, ehemalige Grundschullehrer und Fotograf und sagt: „Der Grund, weshalb das eine so tiefe Beziehung war: Dieser Wagen hat einfach eine Ausstrahlung, der hat eine Aura.“ 2018 muss er sich allerdings von dem Schmuckstück trennen – zu tiefgreifend und umfassend wären die Reparaturen gewesen, um durch den TÜV zu kommen. „Eine schwierige Entscheidung, die auch richtig weh tat“, wie er sagt. Dass das Auto in die Hände eines Sammlers gelangt, der das Auto herrichten will, tröstet ihn. Sein Nachbar Thomas Löffelholz hingegen bedauert sehr, dass er das Auto aus Bordenau weggegeben hatte.
Foto: Ingolf Heinemann
Heimlicher Kauf
Was Heinemann nicht ahnen kann: Jener Nachbar hatte sich so in den Buckel verguckt, dass er ihn zurückkauft und restauriert (siehe auch unten: „Wie der Buckel wieder auf die Straße kam“). „Dieses Auto hatte mich geprägt“, erzählt der mittlerweile siebte Besitzer des Fahrzeugs, Thomas Löffelholz. Das Motorengeräusch des Volvos sei ein prägendes Geräusch seiner Kindheit gewesen.
Foto: Thomas Löffelholz
Überraschung geglückt
Im September 2022 lädt Löffelholz seinen langjährigen Nachbarn dann zum Stamm-Griechen ein – statt zum Bus führt er den völlig ahnungslosen Heinemann (Foto) zum am Wegesrand geparkten, frisch überholten Buckel. „Ich traute meinen Augen nicht. Ich dachte, das ist ne Fata Morgana“, erzählt Heinemann, der im ersten Moment nicht versteht, dass es sich um seinen Buckel handelt. Löffelholz hält ihm den Schlüssel unter die Nase und klärt ihn auf mit den Worten: „Du fährst uns jetzt mit deinem alten Buckel in mein griechisches Lieblingslokal“. „Ingolf war so aufgeregt“, erzählt Löffelholz. Von Heinemann bekommt Löffelholz jede Menge Historisches, darunter auch Unterlagen wie die Betriebsanleitung, das Wartungsheft und die Verkaufsurkunde. Damit versucht Löffelholz über das Internet und das schwedische Telefonbuch einen der Vorbesitzer aus der Anfangszeit des Buckels in Schweden ausfindig zu machen.
Foto: Thomas Löffelholz
Suche nach den Vorbesitzern
Am 28. September 2022 gelingt es Löffelholz schließlich, Jan-Olof Hermansson in Schweden, den Zweitbesitzer des Buckels, zu kontaktieren. „Ich war sehr überrascht. Ich hatte das Auto im schwedischen Bilregister gesucht und es dort nicht gefunden. Also dachte ich, dass es verschrottet wurde. Ich hatte nicht gedacht, dass das Auto noch ‚lebt‘“, erzählt der Schwede rückblickend. Es dauert eine Weile, bis er die Nachricht verdaut hat. „Ich war sehr erfreut, froh und interessiert, das Auto auf Fotos von Ingolf zu sehen und die Geschichte von 1984 zu hören“, sagt Hermansson. Bilder werden hin- und hergeschickt, darunter dieses Foto von Hermansson am Steuer, eine Einladung ins schwedische Gräfsnäs in Västergötland folgt und es reift die Idee heran, mit dem Buckel zu den Vorbesitzern nach Schweden zu fahren.
Foto: Jan-Olof Hermansson
Die große Tour zu den Wurzeln nach Schweden
Begleitung zur Fähre
Am 2. Juni 2023 geht’s los. Mechaniker Markus Oberheide (im Foto rechts) hatte mitgeholfen, dass der Wagen fahrbereit und sicher war. Er begleitet Thomas Löffelholz (im Foto links) und Ingolf Heinemann in seinem historischen Mercedes W123 bis Travemünde auf der Fahrt zur Fähre nach Malmö, um sicherzugehen, dass sie auch wirklich gut nach Schweden kommen.
Fotos: Ingolf Heinemann
Erster Gänsehaut-Effekt
In Schweden kommen die beiden Deutschen in der Unterkunft in Hillesgården mit vielen Menschen ins Gespräch. „Wenn ich das so höre, was ihr da vorhabt und was der Wagen für eine Geschichte hat, da bekomme ich eine gåshud“, sagt die Schwedin Helén (Foto). „Gåshud, also Gänsehaut, war das erste schwedische Wort, das ich gelernt habe“, erzählt Heinemann. „Diesen Gänsehaut-Effekt haben wir bei so vielen Menschen ausgelöst, denen wir unsere Geschichte erzählt haben. Meist dauerten unsere Fahrtetappen länger als geplant, weil an jeder Tankstelle, an jedem Parkplatz Leute kamen und sich interessierten“, fügt er hinzu.
Foto: Ingolf Heinemann
Treffen nach rund 40 Jahren
Entsprechend herzlich ist dann auch der Empfang bei der Familie von Jan-Olof Hermansson in Borås. Der Schwede navigiert die beiden bei ihrer letzten Etappe detailliert per Telefon, weil Löffelholz als echter Oldtimerfan strikt gegen die Navigation durch Google Maps ist. Als Hermansson schließlich sein altes Auto sieht, überkommen ihn die Emotionen. „Es war so besonders, als ich das Auto auf mich zukommen sah. Es zu sehen und das Motorengeräusch zu hören, war wunderbar“, sagt Hermansson. Und Heinemann berichtet über diesen besonderen Moment: „Jan-Olof war sichtlich aufgelöst und emotionalisiert, als nun sein alter Buckel mit seinem unverkennbaren Motorengeräusch um die Ecke bog.“ Seine Frau Cecilia Hermannson empfängt die Gäste winkend mit Fähnchen. Der Eingangsbereich des Hauses ist mit einem historischen Buckel-Plakat und einem Volvo-Modellauto liebevoll dekoriert. Das Foto von damals mit Jan-Olof Hermansson am Steuer stellen sie nach (Foto) und er darf eine Runde mit dem Buckel drehen. „Das war eine ganz besondere Erfahrung. Es war toll wieder darin zu sitzen“, erzählt er.
Foto: Ingolf Heinemann
Besuch am Grab des Erstbesitzers
In Gräfsnäs besuchen sie das Haus des bereits verstorbenen Erstbesitzers Åke Hermansson, der das Auto 1964 neu kaufte. Dort stellen sie den Buckel in die Einfahrt auf seinen früheren Parkplatz. Sie erfahren, dass Åke als Malermeister gearbeitet und auf dem Dachgepäckträger des Buckels meterlange Leitern transportiert hatte, um Fassaden zu streichen. Der Bruder von Jan-Olof Hermansson zeigt den deutschen Gästen den Schuppen, wo noch die alten Holzleitern vom Malermeister liegen. Auch das Grab des Erstbesitzers Åke besuchen sie. Jan-Olof Hermansson, der den Buckel 1974 von seinem Onkel Åke kaufte, sagt: „Ich bin sicher, dass Åke von seiner Wolke herunterlächelt und sich freut, dass der Volvo wieder zu Hause ist.“ Auch die Tochter von Åke, Kerstin Svensson, die den Buckel in jungen Jahren am Abend und an den Wochenenden fuhr, wenn ihr Vater ihn für die Arbeit nicht brauchte, und deren Mann Ehrling lernen die beiden kennen.
Foto: Ingolf Heinemann
63.500 Kilometer Geschichte
Während der Treffen tauschen sich die deutschen Gäste mit den früheren schwedischen Besitzern über den Buckel aus. „Ich habe viele gute Erinnerungen an die Zeit mit meinem Auto. Es war ein tolles Gefühl von Freiheit, ein Auto zu besitzen. Und ich mag das Aussehen und die Form des Autos“, berichtet Jan-Olof Hermansson. Von 1974 bis 1982 fuhr der junge Schwede 63.500 Kilometer damit, dokumentierte alles penibel im Fahrtenbuch: Fahrten zur Schule, viele Trips und Urlaube mit den Freunden in Schweden, aber auch Reisen zur Freundin nach Norwegen und nach Stockholm, wo er Kirchenmusik studierte. 1980 unternahm er mit seiner Frau Cecilia im Buckel die Hochzeitsreise. Auch ihm sei der Verkauf nicht leicht gefallen, doch da er ihn während des Studiums in Stockholm nicht mehr nutzte, verkaufte er ihn 1982.
Foto: Ingolf Heinemann
Ersatzreifen als Geschenk
Viele Familienmitglieder und Freunde von Hermannson interessieren sich für die Buckel-Geschichte. „Sie hatten sich darauf vorbereitet. Der ganze Ort wusste Bescheid. Alle erwarteten uns“, sagt Heinemann. Hermanssons Bruder Evert (im Foto rechts) überrascht Löffelholz mit einem besonderen Geschenk: einem Diagonal-Ersatzreifen der Firma Firestone.
Foto: Ingolf Heinemann
Geheimnisvoller Zettel
Höhepunkt der Reise soll das alljährlich in Gräfsnäs stattfindende Oldtimertreffen werden, das alle gemeinsam mit dem Buckel besuchen. Über 300 Classic Cars und mehrere tausend Besucher nehmen teil. Hermansson hatte zwei große Plakate über die Geschichte und die Besitzer des Fahrzeugs angefertigt. „Wir hatten um unseren Wagen herum immer eine Traube von Interessierten“, freut sich Heinemann. Während des Oldtimertreffens verteilen die Veranstalter kleine Zettel an vier Wagentüren. „Einer dieser Wagen, die einen Zettel bekamen, waren wir“, erzählt Heinemann. Dass sie damit für die Preisverleihung nominiert werden, wissen die beiden Deutschen noch nicht. Am Ende erhält Löffelholz den 2. Preis von 300 teilnehmenden Autos für den guten Zustand und die besondere Geschichte.
Fotos: Ingolf Heinemann
Mechaniker von damals
Auf der Veranstaltung treffen sie auch den Mechaniker Arne Andersson (im Foto rechts), der vor 50 Jahren den Wagen gewartet, den Wasser- und Ölstand überprüft hatte. In den alten Wartungsheften entdeckt er seine Unterschrift. „Dann stand er da, nach 50 Jahren, guckt in dieses Heft, das er geführt hatte, und war wirklich von den Socken“, beschreibt Heinemann die Situation. Andersson klappt die Motorhaube auf und prüft – wie damals – den Ölstand.
Foto: Ingolf Heinemann
Fotoshooting an historischer Tankstelle
Selbst die Tankstelle, an welcher der Mechaniker, den sie auf der Veranstaltung getroffen haben, vor über 50 Jahren die Wartung vorgenommen hatte, steht noch. Dort darf der Buckel zum Fotoshooting vorfahren. „Die historische Tankstelle sieht noch aus wie früher“, erzählt Heinemann.
Foto: Ingolf Heinemann
Besuch im Volvo Museum
Noch eine Station darf bei der Nostalgiereise nicht fehlen. „Es war mein dringender Wunsch, mal dorthin zu fahren, wo der Volvo am 12.12.1963 gebaut wurde, nämlich ins Werk nach Göteborg“, sagt Heinemann. Hier besuchen die beiden Deutschen das Volvo Museum und sehen auch den Vorgänger ihres PV 544, den PV 444. Ehe es mit dem Buckel zurück nach Deutschland geht, besuchen die beiden Oldtimerfans noch Skagen, den nördlichsten Punkt Dänemarks, und Fünen, wo der Buckel mit Heinemann schon mehrfach im Urlaub war. Auch hier winken ihnen immer wieder Leute und es entstehen viele Gespräche.
Foto: Thomas Löffelholz
Vespa-Fahrer auf Tour
In der Schlange zur Fähre treffen sie einen Mann, der mit seiner Vespa über die Alpen zum internationalen Vespa-Treffen möchte (Foto). „Es gibt noch mehr Verrückte, die ungewöhnliche Touren unternehmen und Freude daran haben, alte Fahrzeuge am Laufen zu halten und deren Geschichten zu kommunizieren“, stellt Heinemann fest und fügt hinzu: „Da schreibt das Leben ein wunderbares Drehbuch. Unser Buckel hat Menschen zusammen- und miteinander ins Gespräch gebracht. Das ist das Besondere an unserer Reise back to the roots.“ Und die Geschichte des 68 PS starken PV, der 500.000 Kilometer mit dem Originalmotor auf dem Buckel hat, ist an dieser Stelle noch nicht zu Ende: Löffelholz steht nun auch in Kontakt mit Henrik Magnusson, der den Buckel 1984 in Hannover verkaufte. Auch er soll die Chance bekommen, sein Auto von damals zu treffen.
Foto: Ingolf Heinemann
Wie der Buckel wieder auf die Straße kam
Tausende Stunden bis zum Schmuckstück
Am 4. Mai 2022 – genau vier Jahre, nachdem Ingolf Heinemann seinen Buckel verkauft hatte – holt Thomas Löffelholz das Fahrzeug heimlich zurück nach Bordenau. Er versteckt den Volvo PV für ein knappes halbes Jahr in einer Scheune. Hier richtet er ihn her, um ihn durch den TÜV und damit wieder auf die Straße zu bringen. „Der Buckel war in einem sehr schlechten Zustand“, erzählt Löffelholz im Nachhinein. Bis zum Vorführen beim TÜV stehen einige Schritte an: darunter ein großer Service, Schweißarbeiten, Bremsanlage, Ölwechsel, Luftfilter- und Zündkerzentausch.
Mit den Plänen, zu den Vorbesitzern nach Schweden zu fahren, war für Löffelholz klar, dass es mit diesem ersten Schritt, das Auto fahrbereit zu machen, nicht getan war. Hermansson hatte ihm geschrieben, dass er sich freue, den „beautiful PV“ wiederzusehen. Anreiz genug, aus dem Fahrzeug, das zu diesem Zeitpunkt noch viele Schönheitsfehler hatte wie eine zerkratzte Frontscheibe oder einen fast auseinanderfallenden Sitz, ein Schmuckstück zu machen. Also wurde über den Winter wieder geschraubt, geschweißt, verzinnt, ausgetauscht, lackiert und poliert. Bis zur A-Säule hatte er alles demontiert. Die Stunden dafür hat Löffelholz nicht gezählt, aber es seien sicher tausende gewesen. „Ich habe jede Stunde sehr gerne geschraubt“, erzählt er.
Das Wissen dafür hat sich der Eisenbahner selbst angeeignet. Sein Vater hat als gelernter Kfz-Mechaniker schon immer an alten Autos geschraubt und ihm als Kind viel beigebracht. Mit 15 hat der heute 29-Jährige sein erstes eigenes Fahrzeug wieder hergerichtet. Er studierte 60 Jahre alte Reparaturanleitungen, machte eine Bestandsaufnahme und stellte fest: „Die Werkstatt hatte es nicht immer gut gemeint. Es gab etliche unfachmännische Reparaturen.“ Diese behob er und rüstete Umbauten, die nicht dem Originalzustand entsprachen, wieder zurück. So tauschte er zum Beispiel die Frontscheinwerfer gegen originale Bilux-Scheinwerfer, entfernte Rostnester und baute die originalen Einkammerblinker wieder ein. Auch die stark verschlissenen Stirnräder ersetzte er. „Das war eine Operation am offenen Herzen“, sagt er. Sein Ziel: Der Wagen sollte authentisch und zeitgenössisch sein. „Ich bin sehr von dieser alten Technik überzeugt. Dieses Auto repariert man eher mit dem Hammer als mit dem Messgerät“, fügt er grinsend hinzu.
Titelfoto: Ingolf Heinemann