Winterdienst auf der Felbertauernstraße
Wenn viele Alpenpässe im Winter unbefahrbar werden, bleibt eine Panoramastraße Richtung Italien immer offen: die Felbertauernstraße. Die 36,6 Kilometer lange Strecke von Mittersill im Salzburger Land bis Matrei in Osttirol ist das ganze Jahr über geräumt bis auf den Asphalt. Möglich ist das nur durch einen enormen Personal- und Materialeinsatz.
Wie eine schwarze Schlange windet sich die Felbertauernstraße von Matrei aus hinauf zum Südportal, bis sie auf 1.600 Metern im Berg verschwindet. Ringsherum alles weiß verschneit. Auf der Straße keine einzige Schneeflocke. Dieses Bild ist nur möglich, weil die Mitarbeiter der Felbertauern AG rund um die Uhr im Dienst sind, 365 Tage im Jahr.
„Bei uns ist das Motto: Die Straße muss immer schwarz sein“, sagt Harald Holzer. Der 29-Jährige sitzt am Steuer eines Schneepflugs und lenkt den Lkw geschickt durch die Mautstelle. Ziemlich eng. Im Felbertauerntunnel wird es nicht besser. Holzer muss den Pflug ganz nach rechts drehen, damit der Gegenverkehr genug Platz hat. Mit 40 km/h fährt er die 5,2 Kilometer lange Strecke durch den Berg bis auf die Salzburger Seite. Streuen muss und darf er im Tunnel nicht – zum Schutz des Bauwerks. Außerdem besteht keine Glatteis-Gefahr. Anders auf den restlichen Teilen der Panoramastraße. Bereits um zwei oder drei Uhr nachts beginnt der erste Mitarbeiter mit einer Vorsorgestreuung. „Glatteis ist die größte Gefahr“, erklärt Holzer. „Schnee kann man sehen, aber Glatteis ist unsichtbar.“ 500 Tonnen Salz sind immer auf Lager, in harten Wintern müssen 300 weitere dazugekauft werden. Etwa 100.000 Euro gibt die Felbertauern AG jährlich dafür aus.
Schwarzräumung
Doch nicht nur der Materialverbrauch ist für das Ziel der Schwarzräumung extrem hoch. Auch die 50 Mitarbeiter zeigen unermüdlichen Einsatz. Sie arbeiten in drei Schichten, drei Mann sind immer präsent. Diese stehen im Turnusdienst, schlafen eine Woche lang in der Firmenzentrale am Südportal. „Wir leben von der Einsatzbereitschaft unserer Mitarbeiter“, erklärt Klaus Kollnig, Betriebsleiter der Felbertauern AG. Für die Angestellten gehört es dazu, dass sie ein paar Tage nicht nach Hause kommen. „Auf 1.600 Metern sind wir es gewohnt, dass wir zamruckn.“ Jeder Mitarbeiter muss auch bei der Feuerwehr sein, um im Ernstfall mit dem betriebseigenen Löschfahrzeug ausrücken zu können.
„Die Arbeitszeiten sind gewöhnungsbedürftig, aber das ist Einstellungssache“, erzählt Holzer. Wenn man zehn Stunden bei starkem Schneetreiben und schlechter Sicht auf einem Lkw sitze, koste das schon viel Konzentration. „Manche freuen sich richtig auf den Winterdienst – trotz Streudienst“, sagt Kollnig. Von Ende Oktober bis Ende April geht das. Aber: „Es hat in jedem Monat schon einmal geschneit, wir sind auch schon im Juli mit dem Winterdienst ausgerückt“, erinnert sich der Betriebsleiter.
Alles im Blick
Wenn Harald Holzer mit dem Schneepflug durch die Röhre fährt, kann Georg Panzl das in der Tunnelzentrale genau verfolgen. 16 Bildschirme zeigen die Aufnahmen von 130 Kameras, die alles festhalten, was in der Röhre passiert. Hinzu kommen Anzeigen zum täglichen Wetterbericht, um das Personal nach der Prognose einzuteilen. Auch Lawinen werden hier genauestens dokumentiert. Die firmeneigene Lawinenkommission führt Kontrollfahrten durch und beobachtet die Veränderungen. Sollte eine Gefahr bestehen, wird die Felbertauernstraße kurzzeitig gesperrt, die Lawine kontrolliert gesprengt und anschließend der Schnee wieder geräumt. Bei starkem Schneefall machen sich die Lawinenexperten auch mit dem Hubschrauber auf die Suche nach der weißen Gefahr.
Doch selbst das beste Team kann nicht verhindern, dass die Straße mal länger gesperrt werden muss. Anfang 2020 waren die Osttiroler einige Tage von der Außenwelt abgeschnitten, da die Felbertauernstraße aufgrund der hohen Lawinengefahr nicht befahrbar war. In diesem Fall kommen die Bewohner nur auf einem sehr großen Umweg über Italien in ihre Heimatorte. Die Osttiroler haben eine starke emotionale Bindung zur Felbertauernstraße. „Wir sind daheim, wenn wir auf der Felbertauernstraße sind. Alle Osttiroler brauchen dann noch eine bis anderthalb Stunden heim“, erzählt Barbara Hassler, Marketingleiterin der Felbertauern AG.
Urgestein der Firma
Eine enge Bindung zur Straße hat auch Reinhard Egger. Seit 40 Jahren arbeitet er in der Firma, hat schon alles gemacht. Bezeichnet sich als Urgestein. An diesem Tag sitzt er an der Mautstation, die 1,5 Millionen Fahrzeuge im Jahr passieren. „Servus, pfiat di“, verabschiedet er die Autofahrer freundlich. Auf 1.600 Metern ist man per Du. Der Erste hat ein vorbezahltes Ticket, der Zweite begleicht die elf Euro bar. Dann fährt ein polnischer Lkw viel zu weit vor. „Der denkt, er hat eine Go-Box, die geht hier aber nicht“, sagt Egger. Er winkt ihn zurück und erklärt dem Fahrer auf Englisch, dass er mit Karte oder bar bezahlen muss. Trotz der vielen Bezahlmöglichkeiten geht das nicht, er muss mit seinem Chef telefonieren. Ein Mitarbeiter lotst den Lkw rückwärts aus der Mautstation, der Kollege vom Gegenverkehr übernimmt die wartenden Autofahrer. Für Egger ist das Alltag, dennoch hat er immer ein nettes Wort auf den Lippen und gibt den Urlaubern, die auf dem Weg nach Osttirol, Kärnten oder Italien sind, Tipps mit auf den Weg.
Auch Harald Holzer muss auf dem Rückweg die Mautstelle erneut passieren, ohne Bezahlung geht es für niemanden weiter. Für den 29-Jährigen
ist die Tour beendet. Doch nicht die Schicht. Zwischendrin arbeitet der gelernte Lackierer in der Werkstatt, wartet und repariert die Fahrzeuge. Für den Osttiroler ist es ein Traumjob, die Straße hat ihn bereits als Kind fasziniert: „Ich wollte das schon immer machen, das taugt mir.“
Titelfoto: Jessica Blank