02.01.2020

Wem gehört hier was? Über die Herausforderungen im Umgang mit Fahrzeugdaten

Wer als Hersteller heute Informationen über die Nutzer seiner Fahrzeuge sammelt, der hat gute Chancen auf das große Geschäft von morgen. Wie schwierig es ist, dabei alle Interessen unter einen Hut zu bringen, zeigte ein Symposium des Verbundes Europäischer Automobilclubs EAC in Brüssel.


Ob früher wirklich alles besser war, mag jeder für sich beantworten. Dass früher aber vieles anders war, darüber herrscht Einigkeit. Zum Beispiel beim Autofahren. Waren Fahrzeuge einst nur Transportmittel für Menschen und Waren, sind sie mit umfangreicher Sensorik und Online-Vernetzung heute zunehmend Produzenten und Träger von Daten. Die werden genutzt zur Erfassung des Standorts, für Wartungshinweise an die Werkstatt oder markenspezifische Dienste, um drei Beispiele von vielen zu nennen. Den ersten Zugriff darauf haben die Fahrzeughersteller, denn sie kontrollieren die technische Struktur des Fahrzeugs. Damit bestimmen vorrangig sie über die Erhebung, Speicherung, Verarbeitung, Nutzung und Weitergabe dieser Daten.

Das ist nicht gut für den Verbraucher, weil so vieles ohne sein Zutun oder gar Wissen geschieht. Diese Meinung vertritt der EAC, zu dessen Gründungsmitgliedern seit 2008 der ARCD zählt. Als Interessenvertretung setzt sich der EAC für die Belange von insgesamt rund drei Millionen Autofahrern in Europa ein. Die Vereinigung fordert, einheitliche Regeln für mehr Entscheidungsfreiheit von Fahrzeughaltern und -nutzern zu schaffen, und sie hat sich klar positioniert: „Der Fahrer ist das Maß aller Fahrzeugdaten“ heißt es in einem fünfseitigen Positionspapier des EAC zum Umgang mit Daten im vernetzten Auto.

Um seine Forderung auf europäischer Ebene zu untermauern, brachte der EAC im Rahmen eines Symposiums Ende November 2019 wichtige Entscheidungsträger der europäischen Verkehrspolitik zu einer Podiumsdiskussion in Brüssel zusammen. Das Thema: Fahrzeugdaten – Wer ist der Eigentümer, Besitzer und Nutzer?

Mehrere Positionen

„Ein vernetztes Auto sendet heute 25 Gigabyte Daten – pro Stunde“, stellte Gastredner Ismail Ertug fest. Das entspreche einer Datenmenge vergleichbar mit zwölfeinhalb Stunden Film in HD-Qualität. Als Mitglied des Verkehrsausschusses im Europaparlament betonte Ertug vor einem vollbesetzten Auditorium Aspekte wie Datensparsamkeit, Transparenz und Zweckgebundenheit von Datensammlungen. In Anbetracht einer aktuellen Grauzone vor allem im Hinblick auf Datenspeicherung bekräftigte er: „Es bleibt dabei, dass es hier einer Regulierung bedarf.“

In der anschließenden Podiumsdiskussion unter der Leitung von Moderator Werner Balsen, ehemaliger Brüsseler Korrespondent der Deutschen Verkehrszeitung DVZ, tauschten hochrangige Experten ihre Standpunkte aus. Natalia Lazarova, Referatsleiterin bei der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission, befand, dass die momentane Gesetzeslage noch nicht ausreiche, um allen Herausforderungen eines möglicherweise wettbewerbshemmenden Umgangs mit Daten adäquat zu begegnen. Eine solche Hemmung tritt etwa ein, wenn Dritten der Zugang zu diesen Daten verwehrt wird. Insofern befürwortete sie die Entwicklung entsprechender Regularien.

Mit EU-Kartellrecht beschäftigt sich auch Anne Federle von der Brüsseler Kanzlei Bird & Bird. Ihrer Einschätzung nach sei es schwierig, eine Kartellbehörde davon zu überzeugen, dass ein Fahrzeughersteller gegen Kartellrecht verstoße. Die Hersteller seien sehr sensibel dafür, welche Lücken sie besetzen könnten. Selbst ein eventuell doch festgestellter Verstoß führe nicht zwangsläufig zu einem Datenzugang für Dritte. Eine Regelung neben dem Kartellrecht hält demnach auch sie für notwendig.

Konzepte gefordert

Francois Fischer, Ingenieur und Manager bei Ertico-ITS, einer Art Denkfabrik zum Thema, betrachtete die Fragestellung des Symposiums aus Sicht der Industrie. Der Manager hob drei Bereiche hervor, in denen Daten eine Rolle spielten: die Mobilität mit allen vernetzten Diensten, die Fahrzeuge und die Energiefrage, wenn es etwa um das Laden von Fahrzeugen gehe. Dem Gedanken an eine standardisierte Telematikplattform mit offenen Schnittstellen für Dritte, wie sie der EAC angesichts fehlender Regularien vorschlägt, erteilte er allerdings eine Absage: „Ich glaube nicht, dass wir eine gemeinsame Plattform etablieren können.“ Es sei wichtig, Konzepte zum Teilen von Daten zwischen den Interessensgruppen zu entwickeln, das Ganze aber nicht unter Zwang zu stellen.

Kontrolle statt Besitz

Einen für manche Experten neuen Aspekt brachte Dimitri Vergne vom Europäischen Verbraucherverband BEUC ins Spiel: „Anstelle vom Besitz von Daten zu reden, spricht der BEUC lieber über den Zugriff auf Daten und die Kontrolle über Daten.“ Dieser feine Unterschied habe großen Einfluss auf politische und regulatorische Entscheidungen und sei das, was es mit der Industrie zu diskutieren gelte. Gleichzeitig plädierte er dafür, dass den Verbrauchern grundsätzlich ein fairer Zugang zu ihren Fahrzeugdaten ermöglicht werden müsse. Die bekannten wettbewerbsrechtlichen Regularien bewertete er im Hinblick auf den Umgang mit Fahrzeugdaten als unzureichend. „Möglicherweise benötigen wir eine branchenspezifische Gesetzgebung für vernetzte und autonome Autos.“

Jan Bambas schließlich von der europäischen Föderation der unabhängigen Groß- und Einzelhändler von Kfz-Ersatzteilen FIGIEFA kritisierte die Abschottung durch das von den Herstellern favorisierte Konzept des sogenannten Extended Vehicle: „Das ist ein System, das den Zugang zu Daten monopolisiert. Es gibt nicht allen die gleichen Möglichkeiten.“ Das müsse dringend anders werden, um unabhängige und konkurrenzfähige Dienstleistungen anzubieten.

In seinem Fazit des Symposiums brachte EAC-Präsident Bernd Opolka den Diskussionsverlauf auf den Punkt: „Ich glaube, dass auch die heutige Debatte die Autofahrer staunend zurücklässt.“ Mit Verweis auf das Veranstaltungsmotto forderte er abschließend: „Für uns ist klar, dass wir die Instrumente, die wir heute haben, wie das Kartellrecht und die Möglichkeit der Regulierung durch Brüssel, nutzen müssen, damit wir möglichst bald zu einer Antwort dieser schwierigen und auch heute noch nicht gelösten Frage kommen.“

Das fordert der EAC

Als Verbrauchervereinigung für Autofahrer in Europa fordert der EAC einheitliche Regeln für den Umgang mit Fahrzeugdaten. Zu den zentralen Forderungen zählen Transparenz bei der Verarbeitung von Daten aus dem vernetzten Auto und die Gewährleistung der Wahlfreiheit auf Seiten des Verbrauchers, wem er diese Daten verfügbar machen möchte. Das schließt das Recht zur Datenübertragbarkeit ein. Weitere Forderungen für zukunftssichere Mobilität sind der freie Zugang zu den Daten für externe Dienstleister sowie die Etablierung einer offenen und standardisierten Telematikplattform im Fahrzeug.

Titelfotos: EAC


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