23.04.2021 Jessica Blank

Verkehrserziehung neu gedacht

Dass Kinder erst im Laufe der Jahre die wichtigsten Kompetenzen für die Teilnahme am Straßen­verkehr entwickeln, haben wir bereits in der März-Ausgabe von Auto&Reise berichtet. Doch wie bringt man den Jüngsten das benötigte Wissen rund um den Verkehr zum richtigen Zeitpunkt bei? Klassische Wege der Verkehrserziehung haben ­dabei nicht ausgedient, doch moderne Ideen ­erweisen sich als kreative Ergänzungen – nicht nur in Pandemie-Zeiten.


Wenn Hund Wuschel vor dem Wochenende erklärt, warum man rechts und links schauen muss, bevor man die Straße überquert, oder dass es gar nicht geht, wenn Onkel Klaus am Steuer telefoniert, leuchtet das jedem ein. Auch Kindern. Für sie sind solche Videos wie die der Kreispolizeibehörde Unna ja auch gemacht. In der digitalen Welt von heute sind zwar klassische Wege der Verkehrserziehung immer noch wichtig und aktuell. Doch genauso essenziell ist es, moderne Möglichkeiten zu nutzen. Und das von klein auf. Denn diese Wissensvermittlung beginnt bei Kindern bereits im Alter von zwei, drei Jahren. „Bewusste Verkehrserziehung ist es am Anfang nicht. Aber eine Auseinandersetzung mit dem Thema ist schon von klein auf da. Ich würde Verkehrserziehung als Teil des Alltags definieren“, erklärt Josef Weiß, Redakteur beim VMS-Verkehrswacht Medien & Service. So sollen Kinder nie an der Seite zum Fahrbahnrand gehen und bei Rot bleibt jeder stehen. „Das müssen Kinder von Beginn an lernen, die Eltern erklären immer wieder, warum“, sagt Weiß.

Drei Kompetenzen

Im Kindergartenalter ist es an der Zeit, drei Schlüsselkompetenzen zu fördern: Bewegen, Wahrnehmen und Verständigen. Dann sollten die Kleinen üben, ihre Bewegungen zu kontrollieren, die eigene Geschwindigkeit erfahren und die Reaktionsfähigkeit trainieren. Nur so sind sie in der Lage, aus dem Laufen zum Beispiel an einer Bordsteinkante zum Stehen zu kommen. Bei der Wahrnehmung geht es darum, das, was man sieht und hört, zu verarbeiten. Aus welcher Richtung kommt ein Geräusch? Ist es wichtig oder nicht? Im Laufe der Zeit lernen Kinder Geschwindigkeiten, Entfernungen, Gefahren und die Absichten anderer Verkehrsteilnehmer einzuschätzen. Gleichzeitig müssen sie sich verständigen und ihre eigenen Absichten mitteilen können. Dazu gehört auch das Wissen über Verständigungszeichen und -regeln.

„Ziel der Verkehrserziehung ist, die Kinder schrittweise in die Lage zu versetzen, dass eine eigenständige, sichere und situationsadäquate Verkehrsteilnahme möglich ist“, sagt Weiß. Die Deutsche Verkehrswacht ist seit jeher selbst, aber auch mit Materialien und Medien in den Kindergärten und Grundschulen vertreten, um die Verkehrserziehung zu unterstützen. Vor allem die Bewegungsförderung steht dabei im Mittelpunkt. Spielerisch können Kinder zum Beispiel mit der „Move-it-Box” (s. Infokasten) motorisch für den Straßenverkehr geschult werden.Neben der Verkehrswacht zeigt auch die Polizei bei der Verkehrserziehung bundesweit Präsenz in Kindergärten und Grundschulen.

Die Kreispolizeibehörde Unna geht dabei besonders kreative Wege. Sie lässt nicht nur Hund Wuschel die Basics im Straßenverkehr in kurzen Filmen erklären, sie ist mit ihren Puppen auch vor Ort. Mit einem zum Puppentheater umgebauten Reisebus fahren die Verkehrssicherheitsberater zu Kita-Kindern und Erstklässlern. Spielerisch, in der Sprache der Kinder führen sie pädagogische Puppenspiele mit dem Schwerpunkt Verkehrssicherheit vor. „Mit hochroten Bäckchen sitzen die Kinder da drin und sind fasziniert von dem, was vorgetragen wird“, erzählt Polizeihauptkommissar Thomas Stoltefuß, Leiter des Verkehrsdienstes der Kreispolizeibehörde Unna. „Die Botschaften, die sich spielerisch in dem pädagogischen Puppenspiel verstecken, sind ganz wichtig für die frühkindliche Verkehrserziehung.“ Das Ganze wird mit den Eltern nachbesprochen, da die Kinder natürlich zu Hause davon erzählen. „Man glaubt gar nicht, wie stark Kinder reflektieren können. Wir setzen so eine Initiative, einen Akzent, das ist vielleicht in einigen Familien die Initialzündung, weil es dort nicht das Bewusstsein gibt, das so früh zu machen“, erklärt Stoltefuß.

Eltern als Vorbild

Bei allen Bemühungen in Kindergärten und Schulen: Die Hauptaufgabe liegt auch in der Verkehrserziehung bei den Eltern. „Man kann die zentrale Rolle, die die Eltern spielen in den ersten Jahren bis in die Grundschule, gar nicht überschätzen“, macht Weiß deutlich. Deswegen sollten Eltern Ansprechpartner sein, im Straßenverkehr erklären, Fragen beantworten, aber auch selbst elementare Regeln befolgen – zum Beispiel Anschnallen im Auto. „Das, was man später von einem Verkehrsteilnehmer erwartet, der keinen Unfall hat, der heil durchs Leben kommt im Verkehr, das muss man als Eltern vorleben“, sagt Polizeihauptkommissar Stoltefuß. Immer wieder erlebt er bei der Radfahrausbildung, dass Kinder mit unsicheren Fahrrädern losgeschickt werden. Dabei sollten Eltern dafür sorgen, dass das Kind mit einem „tipptopp Fahrrad an den Start geht“. Deswegen ist Stoltefuß’ Appell an die Eltern, die Verkehrserziehung, sei es im Kindergarten oder die Radfahrausbildung in der vierten Klasse, immer aktiv zu begleiten. „Eltern können super Verstärker sein. Wenn wir anfangen, sind das die positiven Verstärker, weil Kinder glauben ihren Eltern, die vertrauen ihren Eltern“, erklärt Stoltefuß. Hinzu kommt die Vorbildfunktion der wichtigsten Bezugspersonen von Kindern. „Deswegen sollte das, was Eltern vormachen, immer das Optimum sein. Immer alles richtig zu machen, ist eine Wunschvorstellung“, sagt der Polizeihauptkommissar. Aber an die „Big Points”, wie Anschnallen im Auto, sollte man sich halten.

Wimmelbild erklärt

Für die Verkehrserziehung zu Hause geeignet ist auch die neue kreative Idee des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt): eine Art digitales Wimmelbild zum Thema Kinder im Straßenverkehr (s. links). Dieses Kind-und-Verkehr-Bild basiert auf dem Konzept eines Dialogbildes, das ein komplexes Thema in verschiedenen Szenen in einem Bild darstellt. Solche Instrumente stammen aus der Unternehmenskommunikation. „Dialogbilder dienen häufig als Diskussionsgrundlage, die den Betrachter animieren soll, sich kreativ mit dem Thema auseinanderzusetzen“, erklärt Stefanie Kaup, Kommunikationswissenschaftlerin bei der BASt. Auch dieses Bild solle das Interesse des Betrachters wecken und durch den spielerischen Ansatz mögliche Hürden, sich über Verkehrssicherheit zu informieren, verringern. Fährt man mit dem Cursor über das Bild, öffnet sich bei den einzelnen Szenen die Thematik dahinter. Klickt man die Szene an, gelangt man auf eine zweite Ebene, auf der mehr Hintergrundinformationen, Filme oder Fotos zu finden sind. „Das Bild spricht die zentralen Themen und Inhalte des DVR-Zielgruppenprogramms Kind und Verkehr an und bietet damit einen guten Überblick über relevante Themen, die die Teilnahme von Kindern im Straßenverkehr betreffen“, sagt Kaup. Diese reichen von der Entwicklung der Kinder und somit deren Fähigkeiten im Straßenverkehr bis zur Auswahl des richtigen Kindersitzes.

Digitale Präsenz

Nicht nur, aber auch in der Corona-Zeit, in der Verkehrssicherheitsarbeit vor Ort kaum möglich ist, sind solche digitalen Angebote hilfreich, um Eltern und Kinder zu erreichen. Aus ihrer Forschungsarbeit zur Influencerkampagne #wirgeben8 hat Stefanie Kaup Erkenntnisse gesammelt, „dass Eltern sich mehr Verkehrssicherheitsthemen in sozialen Netzwerken wünschen“. Eltern seien erfreut gewesen, wenn solche Themen kreativ aufbereitet werden. Potenzial sieht die Kommunikationswissenschaftlerin auch bei Virtual Reality: „Um mögliche Gefahrensituationen virtuell zu erleben, kann man VR-Brillen bei Kindern ab zwölf Jahren einsetzen. So können Eltern direkt erleben, aus welcher Perspektive ihr Kind den Straßenverkehr wahrnimmt“, erklärt Kaup. Und das ist aufgrund von Größe und Sinnesentwicklung eine ganz andere als bei Erwachsenen. Zudem könnten Quiz-Apps wie „Kahoot“ laut Kaup ein gutes Mittel sein, um Wissen zu vermitteln. Diese könnten bei Grundschülern sowie in der Elternarbeit problemlos eingesetzt werden. „Quiz-Apps tragen dazu bei, dass man alle Kinder und Eltern in die Diskussion mit einbeziehen kann“, erklärt Kaup. Das ist auch bei Veranstaltungen möglich. „Insgesamt sieht man ein sehr starkes Interesse an digitalen Medien, das meiner Meinung nach auch für die Verkehrssicherheitsarbeit genutzt werden sollte.“

Deswegen gehen Institutionen wie DVR, Verkehrswacht und Polizei häufiger moderne Wege. „Wer sich neuen Ideen gegenüber verschließt, das ist nicht Stillstand, das ist Rückschritt“, verdeutlicht Polizeihauptkommissar Thomas Stoltefuß. Gerade in der Mobilität entwickle sich alles schnell: Es gibt neue Verkehrsmittel, neue Verkehrsarten kommen hinzu. „Da muss man sofort vor die Lage kommen, man muss mit der Zeit gehen“, sagt er. Dafür nutzt seine Dienststelle neue Technologien und alle Plattformen. „Öffentlichkeitsarbeit ist ein Riesenbaustein. Präventionsarbeit ist Öffentlichkeitsarbeit, das soll ruhig jeder mitbekommen.“

Material für zu Hause

Doch wie bekommt es jeder mit, wenn Schulen und Kitas geschlossen sind? Genau. Internet. In Unna haben die Mitarbeiter der Abteilung Verkehrsunfallprävention während der Lockdowns Videos gedreht, Podcasts gemacht und in den sozialen Medien verbreitet. Die Verkehrswacht belieferte Schulen mit Material, das die Kinder auch im Homeschooling bearbeiten konnten. Für die verpasste Radfahrausbildung wurden spontan Ferienkurse eingerichtet, um etwas der verlorenen Zeit aufzuholen. Solche Angebote wird es vermutlich dieses Jahr wieder geben. Auch die Polizei hat den Schulen Angebote gemacht. „Sich das am Bildschirm anzugucken, ist besser als nichts zu machen. Aber natürlich ist die Präsenz gerade in der Radfahrausbildung deutlich besser“, sagt Stoltefuß. Aber gar nichts zu machen, werde dem Anspruch nicht gerecht. „Es geht immerhin um Leben und Gesundheit. Das darf nicht einschlafen!“

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