So kommt der Duft ins Auto
Jeder kennt ihn: den typischen Geruch nach neuem Auto. Doch wie kommt der Duft eigentlich ins Fahrzeug? Sogenannte Geruchsingenieure arbeiten bei den Herstellern daran, dass alles stimmig riecht und der Kunde ein dauerhaftes Dufterlebnis verspürt. Wir stellen einen dieser olfaktorischen Designer und seine Arbeit vor.
Gerüche wecken Erinnerungen in uns. An das Lieblingsessen bei Oma. An einen Ort. Oder an eine bestimmte Person. Gerüche sorgen dafür, dass wir uns wohlfühlen. Sie warnen uns aber auch und bewahren uns vor verdorbener Nahrung oder Giftstoffen. Wir alle kennen typische Düfte – wie den nach einem neuen Auto. Im besten Fall riecht darin alles angenehm, es ist eine perfekte Duftkomposition aus verschiedenen Materialien. Damit schon die erste Sitzprobe zum nachhaltigen Erlebnis wird, arbeiten bei den Herstellern Duftingenieure am stimmigen Innenraumodeur.
Peter Karl Eastland ist eines dieser olfaktorischen Genies. Der Brite fungiert als leitender Ingenieur für Geruchsentwicklung im Nissan Technical Centre Europe in Cranfield (UK). Schon in jungen Jahren entdeckte er sein olfaktorisches Talent und machte es zu seinem Beruf. Er studierte an der Universität in Leicester, erhielt seinen Master in Chemie mit Schwerpunkt Forensik. 2016 kam er ins Nissan Graduate Trainee Scheme und seine außergewöhnliche Begabung stellte sich als perfekte Voraussetzung für den Job des Geruchsingenieurs heraus.
Welches Odeur passt?
Schon in einem frühen Entwicklungsstadium eines neuen Modells sorgt Eastland zusammen mit einem Team aus weiteren Ingenieuren und Technikern dafür, dass der Innenraumduft positiv für den zukünftigen Kunden ausfällt. „Wir kreieren nicht per se einen speziellen neuen Autoduft, Geruch ist für jeden einzigartig und eine zu subjektive Angelegenheit“, erklärt Eastland. „Unser primäres Ziel ist es, dass es keine Gerüche gibt, die unangenehm sind, um das Erleben des Fahrzeugs für unsere Kunden zu verbessern.“ Doch woher weiß man, was der potenzielle Käufer überhaupt riechen möchte? „Wir wissen, dass es bestimmte Duftstoffe gibt, die mit Qualität und Komfort assoziiert werden, zum Beispiel echtes Leder. Wir wissen auch, dass ein übermächtiger Duft abschreckend sein kann“, sagt der studierte Chemiker. Also sei es die Aufgabe, strenge Gerüche zu reduzieren und feine hervorzuheben.
Welches olfaktorische Erlebnis gewünscht ist, hängt auch vom Markt ab. Der Ingenieur erzählt, dass in manchen Märkten ein starker Neuwagen-Geruch erwartet werde, in anderen möchte man neutrale Gerüche haben. „Innerhalb Europas haben wir das Ziel, unangenehme Gerüche komplett zu reduzieren, um jeden mit einzubeziehen.“
Um zu verstehen, wie die olfaktorische Wahrnehmung funktioniert, lohnt sich ein kurzer Exkurs in die Biologie des Menschen. Düfte sind chemische Substanzen, sie bestehen also aus Molekülen, die beim Riechen zu einem Nervenreiz umgewandelt werden. Das eigentliche olfaktorische System wird aus Millionen von Riechzellen gebildet, die in zwei Schleimhäuten im oberen Teil der Nasenhöhle liegen. Gelangt ein Duftmolekül mit der Atemluft in die Nase, löst es sich im Schleim auf und kann an den Geruchsrezeptoren, die auf den feinen Härchen der Riechzellen liegen, andocken. Diese sorgen mittels chemoelektrischer Transduktion dafür, dass die Information aus den Duftmolekülen ins Gehirn gelangt. Das heißt: Beim Riechen wird ein chemisches Signal in ein elektrisches umgewandelt. Die Riechzellen sind als Nervenzellen hierbei sozusagen die Dolmetscher, sie übersetzen die Geruchsinformation in die elektrische Sprache des Gehirns. Die Botschaft wird ins Großhirn weitergeleitet und dann abhängig von der Verschaltung im limbischen System verortet. Je nach Art der Verschaltung lösen Gerüche oftmals Gefühle aus oder lassen uns an vergangene Situationen erinnern, die mit dem Geruch in Verbindung stehen.
Ein einziges Duftmolekül reicht allerdings nicht aus, um einen elektrischen Reiz in den Riechzellen zu erzeugen. Nur wenn sich genügend Duftmoleküle in der Atemluft befinden und an den Riechzellen anbinden können, entsteht eine Geruchsempfindung. Docken ausreichend Moleküle an, entsteht elektrische Spannung, die die Riechzelle in ihrem Inneren tausendfach verstärkt und ans Gehirn weitergibt. Da wir echte Duftstoffe nur in sehr hohen Konzentrationen wahrnehmen, sorgt das trigeminal-nasale System dafür, dass grobe Geruchsreize wie Rauch, Menthol, Ammoniak oder Säuren auch in geringen Mengen erkannt werden. Der sogenannte Trigeminusnerv durchzieht die gesamte Nasenschleimhaut und bewahrt uns davor, giftige oder ungesunde Dinge aufzunehmen.
Wiedererkennungswert
Um das olfaktorische Wiedererkennen auch bei einem neuen Fahrzeugmodell zu erreichen, dauert die Arbeit von Peter Karl Eastland und seinen Kollegen die komplette Entwicklungsphase über an. Monatelang feilen sie daran, analysieren die verwendeten Materialien, auch Kunst- und Klebstoffe, sorgfältig – unter verschiedenen äußeren Einflüssen. Getestet werden die einzelnen Materialien, Teile des Fahrzeugs und das komplette Auto. Dabei nutzen die Experten spezielle Teströhrchen und eine Umgebungskammer, um den Geruch zu bewerten. Dies führen sie bei unterschiedlichen Temperaturen durch, da sich Gerüche in verschiedenen Umgebungen und Märkten verändern können. Das heißt, die Teströhrchen und die Kammer werden auf bestimmte Temperaturen aufgeheizt. „Wir stellen sicher, dass der Kunde immer ein positives Erlebnis hat, egal wo auf der Welt er sich befindet“, erklärt Eastland.
Bei diesen Analysen spielen natürlich auch Schadstoffe eine große Rolle. Deshalb wird gleichzeitig mit dem Geruchstest ein sogenannter VOC-Check durchgeführt. VOC steht im Englischen für Volatile Organic Compounds, also flüchtige organische Verbindungen. Dabei kann die Menge dieser Verbindungen festgestellt werden. So wird versichert, dass die vorgebenen Grenzwerte eingehalten werden. Klar definiert sind diese in einer EU-Vorschrift mit dem Kürzel REACh, übersetzt Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien. „Das bedeutet, dass wenn Fahrzeuge an EU-Kunden verkauft werden, alle Hersteller sicherstellen müssen, dass keine toxischen oder unangenehmen Komponenten benutzt werden“, erläutert Eastland. „Das ist ein Beispiel, wie wir sichergehen, dass das Fahrzeug kein Gesundheitsrisiko für unsere Kunden darstellt.“
Sollte deutlich werden, dass ein neues Material das gesamte Geruchs-Ambiente im Innenraum verschlechtert oder gar gesundheitsgefährdend ist, müssen Eastland und seine Kollegen nach Alternativen suchen und diese wieder mit allen anderen Bestandteilen zusammen überprüfen. Ein langwieriger Prozess, bei dem die Entwicklungs- und Fertigungsabteilungen zusammenarbeiten. Peter Karl Eastland ist zudem nicht der einzige Geruchsexperte bei Nissan. Er arbeitet mit Teams in Farmington Hills (USA) und in Atsugi (Japan) zusammen, um einen globalen Standard für die Geruchsbewertung garantieren zu können.
Nun riecht ein Neuwagen aber nicht für immer und ewig nach Neuwagen. „Duft wird in seiner Intensität mit der Zeit abnehmen, da sich die VOCs verflüchtigen, besonders bei häufigem Öffnen und Schließen von Fenstern und Türen. Deswegen ist das Fahrzeug, wenn es brandneu ist, am meisten wohlriechend“, erklärt Eastland. Aber durch die Tests unter verschiedenen Bedingungen werde dafür gesorgt, dass das Fahrzeug akzeptabel für den Kunden sei, auch unter extremen äußeren Einflüssen wie großer Hitze. „Wenn ein starker Geruch in einem Fahrzeug ist, bedeutet das nach meiner Erfahrung, dass ein Geruch von außen hereingetragen wurde. Zum Beispiel durch Essen, Tierhaare oder Kosmetik.“
Geruchssinn schulen
Nicht alle Menschen sind wie Peter Karl Eastland mit einem besonderen olfaktorischen Talent gesegnet. Doch der Geruchssinn lässt sich trainieren. Dazu empfiehlt der Brite, mit dem Rauchen aufzuhören – falls man Raucher ist – und den täglichen Kaffee- und Teekonsum zu reduzieren. „Man sollte versuchen, kritisch darüber nachzudenken, was man riecht, und dies nicht verallgemeinern, sondern spezifisch sein“, sagt Eastland. Ein Beispiel von ihm: Manche Dufterfrischer und Reinigungsprodukte nutzen eine Komponente, die „Alpha Pinene“ genannt wird. Sie kommt im ätherischen Öl von Koniferen vor. „Also anstatt zu sagen: ‚Das riecht nach Luft-erfrischer‘, sollte man versuchen zu sagen: ‚Das riecht nach ätherischen Ölen‘“, rät der Experte.
Er selbst genießt jedenfalls nicht nur sein Talent, das, wie er sagt, nicht unbedingt eine Karriere in der olfaktorischen Evaluation zum Ziel hatte. Er liebt auch diesen besonderen Beruf. „Für mich besteht die Freude an der Arbeit darin, dass ich mit sehr talentierten Menschen zusammenarbeite, die in ihrem Bereich absolute Spezialisten sind. Ich würde es als eine Osmose von Wissen bezeichnen“, erklärt Eastland, der es mag, von allen Ingenieuren und Technikern wesentliche Erkenntnisse zu erhalten, während sie gemeinsam an den feinsten Details arbeiten. „Aus unserer Erfahrung heraus ist der Duft eines Autos einer der wichtigsten ersten Eindrücke, die jeder Kunde erleben wird“, sagt Eastland. „Der Moment, wenn ein Freund oder Familienmitglied das erste Mal im Auto mitfährt und sagt: ‚Ich liebe diesen Geruch nach neuem Auto‘, ist das, wonach wir streben.“
Titelfoto: Nissan