28.03.2022 Thomas Schreiner

Schlechte Sicht aus neuen Autos

Hinter dem Steuer ist der Blick nach draußen heute oft verstellt. Über ein Ärgernis, das vermeidbar wäre.


„Leider reiht sich der Nissan in die Reihe vieler anderer Autobauer ein, die das Heck nach hinten abflachen lassen. Das führt neben den Platzproblemen dazu, dass die Heckfenster immer kleiner werden und die Rundumsicht stark eingeschränkt wird“, schrieb uns ARCD-Mitglied Friedhelm Linssen als Reaktion auf unseren Testbericht des aktuellen Nissan Micra im vergangenen Jahr. Stellvertretend für etliche Clubmitglieder beschreibt er, was auch wir feststellen: Die Sicht nach draußen wird in modernen Autos immer häufiger immer schlechter. Das gilt längst nicht nur für schnittige Sportwagen.
 

Wer Bilder von Autos der Siebziger- oder Achtzigerjahre betrachtet, reibt sich die Augen, wie viel Glasfläche einst verbaut wurde. Natürlich gibt es kein Zurück zu den filigranen Dachsäulen von damals. Sie müssen mehr Crashsicherheit bieten und dazu Airbags beherbergen. Ein Unfall oder gar Überschlag wird deshalb heute eher überlebt als 1975. Und die Säulen stehen nun viel flacher, damit die Karosserien leichter durch den Wind flutschen.

Design-Sorgfalt fehlt

Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Design sogar in Durchschnittsautos wie dem Nissan Micra für schlechte Rundumsicht verantwortlich ist. Man darf das getrost nachlässig nennen. Denn Abbiegen, Spurwechsel und Einparken werden so erschwert, Hindernisse und andere Verkehrsteilnehmer leicht übersehen.

Ohne Frage gibt es auch lobenswerte Beispiele für moderne übersichtliche Autos. Aber der Trend zu Formen, die Dynamik oder den Charakter einer befestigten Burg ausstrahlen sollen, lässt sich seit Jahren beobachten. Er befällt selbst ein Segment, das als automobiler Hochsitz eigentlich für beste Ausblicke prädestiniert wäre: die SUV. Schließlich legitimieren deren Käufer ihre Errungenschaft mit erhöhter Sitzposition und besserer Sicht auf den Verkehr. Tatsächlich schotten größere SUV durch ihr Design die Insassen von der Außenwelt regelrecht ab.

Eine zuletzt stärker aufkommende Unterart treibt das Ganze auf die Spitze. Die Coupé-Ableger der SUV vereinen gleich zwei ungünstige Eigenschaften: hohe Flanken und schmale Fenster. Mit dem Ergebnis, dass es fast zwingend Rückfahrkameras oder noch mehr elektronische Helfer braucht, um den Überblick zu behalten. Geradezu absurd wird es, wenn zu viel Technik wie Sensoren und Kameras an der Frontscheibe die Sicht derart einschränken, dass noch mehr Technik notwendig ist, um diesen Mangel zu kompensieren. Das muss nicht sein.

Gefragt sind Ingenieursgeist und Gestaltungskraft, um solche Entwicklungen umzukehren. Und auch Kunden, die sich fragen könnten, was gelungenes Design wirklich ausmacht. Wahrscheinlich müssten sich mehr Menschen nur auf einen der Leitsätze des deutschen Industriedesigners Dieter Rams besinnen, der über Jahrzehnte die Geräte der Marke Braun prägte: Gutes Design macht ein Produkt brauchbar.


Wo früher freie Sicht herrschte, muss heute Technik helfen.
Da im Mercedes-SUV EQA der Innenspiegelfuß die Ampel verdeckt,
muss eine Kamera das Lichtzeichen filmen und auf den Monitor im Cockpit projizieren.
Foto: Thomas Schreiner

 

Titelfoto: Thomas Schreiner


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