26.03.2021 Jessica Blank

Kritische Unfallsituationen durch Prävention vermeiden

Typische Unfallsituationen mit Beteiligung von Kindern gibt es im Straßenverkehr viele. Die DEKRA hat in ihrem Verkehrssicherheitsreport 2019 acht reale Vorgänge ­genauer aufgearbeitet. Wir haben uns diese zur Vorlage genommen und ähnliche Szenarien erstellt. Die abschließende Bewertung der genauen Unfallursache obliegt nach ausführlichen Ermittlungen einem Gericht. Wie man diese kritischen Situationen zukünftig vermeiden könnte, erläutert Polizeihauptkommissarin Christiane Ludwig. Sie arbeitet bei der Kreispolizeibehörde Unna als Verkehrssicherheitsberaterin in der Dienststelle Verkehrsunfallprävention/Opferschutz der Direktion Verkehr.


Grafik: ARCD
Grafik: ARCD

1. Sichtbehinderung beim Abbiegen
Ein Lkw nähert sich einer kreuzenden, größeren Vorfahrtstraße und möchte nach links abbiegen. Kurz vor der Einmündung verdeckt ein Baum die Sicht auf den Gehweg, der entlang der Vorfahrtstraße verläuft. Dadurch übersieht der Lkw-Fahrer ein Kind, das auf seinem Fahrrad von links kommend auf dem Gehweg unterwegs ist. Beim Abbiegevorgang kommt es zu einer Kollision, bei der das Kind schwer verletzt wird.

Christiane Ludwig: „Um derartige Verkehrsunfälle zu vermeiden, ist es sinnvoll, Lkw-Fahrer durch Gespräche bei Verkehrskontrollen aufzuklären und sie für die Vermeidung zukünftiger, komplexer Verkehrssituationen zu sensibilisieren.
Wir bitten auch immer wieder die Bevölkerung, Sichtbehinderungen durch Hecken, Bäume oder Sträucher bei der Polizei oder der zuständigen Kommune zu melden. Sobald keine optimalen Voraussetzungen im Straßenverkehr vorliegen (hier die Sichtbehinderung durch den Baum), habe ich meine Fahrweise durch geringe Geschwindigkeit und mehr ­Wartezeit anzupassen.
Die Radfahrausbildung in der Schule und durch die Polizei ist hier ein ­gutes Mittel, um die Kinder auf solche Verkehrssituationen vorzubereiten. Sie müssen wissen, dass sie aus verschiedenen Gründen (Sicht­behinderung, Körpergröße, Toter Winkel) übersehen werden können. ­Übungen, auch zusammen mit den Eltern, können hier Sicherheit bringen.
Die Polizei ist täglich bemüht, alle Gefahren und baulichen Mängel im ­Verkehrsraum zu erkennen und die Beseitigung von Gefahrenstellen bei den zuständigen Behörden anzuregen.“

Grafik: ARCD

2. Überhöhte Geschwindigkeit
Der Schulbus steht mit eingeschaltetem Warnblinklicht an einer Bushaltestelle. Vor dem Bus überquert ein Schüler plötzlich die Fahrbahn. Ein herannahender Pkw, der den Schulbus mit etwa 50 km/h überholt, kann nicht mehr rechtzeitig bremsen oder ausweichen. Das Auto erfasst das Kind, es erleidet schwere Verletzungen.

„Es gerät leider oft in Vergessenheit, dass an einem Schulbus mit eingeschaltetem Warnblinklicht nur mit Schritt­geschwindigkeit und mit äußerster ­Vorsicht vorbeigefahren werden darf.
Das gilt auch für den entgegenkommenden Verkehr. Eine gezielte Verkehrs­kontrolle sowie Gespräche mit den ­Verkehrsteilnehmern sind hier das Mittel der Wahl. Wiederkehrende Berichte,
die dieses Thema aufgreifen, erscheinen mehrmals im Jahr auf den unterschied­lichen Plattformen, die die Polizei unterhält. Innerhalb der Verkehrserziehung in der Grundschule wird das Verhalten mit den Kindern an der Bushaltestelle besprochen: Es wird erst die Straße überquert, wenn der Bus seine Fahrt fortgesetzt hat!“

Grafik: ARCD

3. Ungesicherte Babyschale
Eine Pkw-Fahrerin missachtet an einer Einmündung die Vorfahrt eines Autos, das sich von links nähert. Die beiden Autos ­kollidieren. Auf dem Beifahrersitz des blauen Pkw befindet sich ein Baby in einer Babyschale, die zwar entgegen der ­Fahrtrichtung steht, aber nicht durch einen Sicherheitsgurt befestigt ist. Auch das Baby ist nicht ordnungsgemäß mit den Gurten des Kindersitzes gesichert. Der Säugling wird aus der Babyschale geschleudert und erleidet
schwere Kopfverletzungen.

„Neben verstärkten Verkehrskontrollen, bevorzugt vor Schulen und Kindergärten, werden die Eltern bereits bei Veranstaltungen der ­Polizei über die verschiedenen Kindersitze sowie deren Befestigungsarten informiert. Wir arbeiten in diesem ­Bereich auch mit anderen ­Trägern zusammen, wie unter anderem dem DVR (Deutscher Verkehrssicherheitsrat). Lehrvideos und Flyer sollen die ­sichere und ­richtige Handhabung mit dem Kindersitz noch unterstützen. Es ist ­immer besser, einen Kindersitz im Fachhandel zu kaufen und sich die Handhabung durch geschultes Personal zeigen zu lassen. Auch das sorgfältige Lesen der Bedienungsanleitung bei der Montage mit ­anschließender Sicherung des Kindes ist sehr wichtig und ­bedarf Übung. Auch darf nicht jeder Kindersitz auf dem Beifahrersitz montiert werden. Bedienungsanleitung von Kindersitz und Auto beachten!“

Grafik: ARCD

4. Toter Winkel
Ein Busfahrer möchte von einer Vorfahrtstraße nach rechts abbiegen. Dabei übersieht er ein Kind, das mit seinem Fahrrad auf dem Gehweg entlang der Vorfahrtstraße fährt und vor dem Überqueren der kreuzenden Straße nicht abbremst. Zum Zeitpunkt der Kollision befindet sich der Radfahrer im Toten Winkel des Busfahrers und wird schwer verletzt.

„Bereits in der Grundschule führen wir Veranstaltungen durch, bei ­denen die Kinder sich in einen Lkw setzen und zu staunen anfangen, wenn ihre Schulklasse, die direkt vor oder neben dem Lkw steht, nicht mehr zu sehen ist. An diesen und anderen praktischen Beispielen ­zeigen wir den Kindern, wie gefährlich es sein kann, wenn sie sich ­neben einem Lkw oder Bus befinden. Auch spezielle Aufkleber an Lkw und Bussen, die auf den Toten Winkel hinweisen, können zur Ver­meidung solcher Unfälle beitragen.
Seit 2020 müssen Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen beim Abbiegen innerorts Schrittgeschwindigkeit fahren, wenn mit Querverkehr durch Radfahrer oder Fußgänger zu rechnen ist. Durch Verkehrskontrollen mit anschließenden Aufklärungsgesprächen werden die Fahrer darauf hingewiesen. Unterstützend wird das Thema durch mediale Veröffentlichungen publik gemacht.“

Grafik: ARCD

5. Fehler beim Abbiegen
Ein Pkw-Fahrer, der sich auf einer Vorfahrtstraße befindet, möchte nach rechts abbiegen. Auf dem Gehweg entlang der Vorfahrt-straße nähert sich von links eine Kindergartengruppe, die die ­abzweigende Straße gerade ­überqueren möchte. Der Auto­fahrer hält an und wartet, bis die hinten gehende Erzieherin die ­andere Straßenseite erreicht hat. Er fährt an und biegt ab. Dabei übersieht er ein zweijähriges Kind, das sich aus Sicht des Autofahrers hinter der ­Erzieherin befunden hat, und ­erfasst es beim Abbiegevorgang. Das Kleinkind stirbt an seinen schweren Verletzungen.

„Dieser für alle Beteiligten tragische Verkehrsunfall kann nur durch immer wiederkehrende Informationsveranstaltungen durch die Polizei und die Träger der jeweiligen Kindertagesstätten verhindert werden. Zunächst sollten Verkehrswege ohne die Kinder abgegangen und auf Gefahrenstellen geprüft werden. Es muss auch vorab entschieden werden, wie viele Kinder in welchem Alter mitgehen dürfen. Um den Überblick zu behalten, muss die Anzahl der Kinder überschaubar sein. Eine Erzieherin geht immer zum Schluss der Gruppe. Auch Pkw-Fahrer haben sich besonders vorsichtig zu verhalten, sobald sie Kinder im Straßenverkehr wahrnehmen. Lieber länger warten, als davon ausgehen, dass die Erzieherin die letzte Person der Gruppe war.“

Grafik: ARCD

6. Kind missachtet Vorfahrtsregeln
Ein Autofahrer ist auf einer Vorfahrtstraße unterwegs, an der seitlich Fahrzeuge parken. Von rechts kommt ein schnell fahrendes Kind auf seinem Fahrrad aus einer Einmündung und überquert die Vorfahrtstraße, ohne auf andere Verkehrsteilnehmer zu achten. Aufgrund der Sichtbehinderungen sieht der Pkw-Fahrer den Radfahrer zu spät. Bei der Kollision wird das Kind schwer verletzt.

„Bei Sichtbehinderungen durch Fahrzeuge ist immer eine defensive Fahrweise zu empfehlen, vor allem in Wohngebieten. Fahrzeugführer ­sollten hier ihre Geschwindigkeit anpassen, um solchen Situationen schneller begegnenzu können. Gerade bei Kindern im Straßen­verkehr ist Vorsicht geboten, da sie die Tragweite ihres Handelns aufgrund ihrer Entwicklung noch nicht richtig einschätzen können. In der Radfahrausbildung werden die Kinder auf die Gefahren des Straßenverkehrs vorbereitet.
In diesem Fall sollte allerdings noch ein ­Gespräch mit den Eltern und dem Kind durch die Polizei erfolgen. Fahrwege des Kindes ­müssen eingeübt werden und gefährlichere ­Stellen angesprochen oder vielleicht sogar durch andere Wege ganz vermieden werden.“

Grafik: ARCD

7. Schlecht beleuchtetes Fahrrad
Ein neunjähriges Kind will bei Dunkelheit die Fahrbahn ­einer Bundesstraße überqueren. Es fährt, ohne zu ­bremsen, aus der Ausfahrt seines Wohnhauses auf die Fahrbahn. Das Fahrrad ist nicht mit einer Beleuchtung nach Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) ­ausgestattet, zudem ist das Kind dunkel gekleidet. Ein von links kommender Pkw-Fahrer erkennt den Radfahrer aufgrund der fehlenden Beleuchtung und sicht­behindernder Bäume am Straßenrand zu spät, es kommt zu einer für das Kind schwerwiegenden Kollision.

„Jedes Jahr, zu Beginn der dunklen Jahreszeit, macht die Polizei darauf aufmerksam, dass helle und reflektierende Kleidung sowie Beleuchtung am Fahrrad schwere Verkehrsunfälle durch bessere Sichtbarkeit verhindern können. Hier müssen die Eltern sensibilisiert werden, ­zukünftig auf die Verkehrssicherheit des Fahrrades und das Tragen heller, reflektierender Kleidung zu achten. Auch eine elterliche Begleitung bei Dunkelheit ist an einer Bundesstraße sinnvoll. Ein Ortstermin mit der zuständigen Behörde zur Beseitigung der Sichtbehinderungen (Rückschnitt der Bäume) wäre eine Möglichkeit, in Zukunft ­derartige Verkehrsunfälle zu vermeiden.“

Grafik: ARCD

8. Altersbedingter Fehler
Drei Kinder wollen ihre Fahrräder über eine Kreisstraße ­schieben, um auf den Radweg auf der anderen Straßenseite zu gelangen. Die Straße ist von Bäumen begrenzt, durch die Hell-Dunkel-Unterschiede ist die Sicht erschwert. Nachdem zwei Kinder die Fahrbahn bereits überquert haben, folgt ein Fünfjähriger. Dieser erkennt einen von rechts kommenden Pkw erst, als er selbst bereits mitten auf der Fahrbahn ist. Das Kind möchte zurückschieben, schafft es aber nicht und wird von dem Auto tödlich verletzt.

„Unsere Präventionsarbeit beginnt bereits im Kindergarten und wird mit der Radfahrausbildung in der Grundschule fort­geführt. Die Eltern werden im Rahmen einer Informations­veranstaltung auf die Entwicklungsstufen von Kindergarten- bis Schulkindern hingewiesen. Ein fünfjähriges Kind ist noch nicht in der Lage, sich sicher im ­Straßenverkehr zu bewegen, und sollte daher an viel befahrenen Straßen immer durch einen Erwachsenen begleitet werden. Die Sicht des Pkw-Fahrers wird hier durch die Lichtverhältnisse erschwert. Er sollte hier die Geschwindigkeit reduzieren, um besser reagieren und so schwerere Unfallfolgen vermeiden zu können.“

Titelfoto: stock.adobe.com/© LeslieAnn