Kilometerkönige: Zu fit fürs Altenteil
Autos mittleren Alters gehören noch lange nicht zum alten Eisen und werden immer länger gefahren. Aus Nachhaltigkeitssicht erscheint das zunächst sinnvoll. Ob das generell gilt, wie sich betagte Pkw bei der passiven und aktiven Sicherheit schlagen und welche Punkte Gebrauchtwagenkäufer im Blick behalten sollten, haben wir hinterfragt.
Julian Meyers Volvo V70 ist fast zwanzig Jahre alt und weist eine Laufleistung von rund 275.000 Kilometern auf. Der Augenoptiker aus Göttingen hat den Wagen im vergangenen Jahr gekauft und will ihn noch lange fahren. Nicht sein erster Kilometerkönig, auch ein zwölf Jahre alter Citroën Berlingo und ein vor dem Schrottplatz geretteter Opel Astra gehören zu seinem Fuhrpark. Meyer sagt, er sei nachhaltig und engagiere sich in seiner Freizeit in einer Facebook-Gruppe namens Langzeitauto. Dort tummeln sich über 5000 Gleichgesinnte, deren Schätzchen auch höhere Laufleistungen vorweisen. Auf 360.000 Kilometer kommt ein 13 Jahre alter Citroën C8 Benziner, bemerkenswerte 1,2 Millionen Kilometer hat ein 22 Jahre alter Skoda Fabia Diesel überschritten. Wer Laufleistung oder Alter nicht scheut, findet auf Auto-Verkaufsplattformen ein reichhaltiges Angebot. Bei einer Stichprobe (Stand: 7. März 2022) fanden sich etwa auf Mobile.de allein in Deutschland über 300.000 Fahrzeuge mit sechsstelligem Kilometerstand. Autos länger als in früheren Jahren zu fahren, liegt im Trend. So hat die Deutsche Automobil Treuhand (DAT) in einer Umfrage im Jahr 2021 herausgefunden, dass Neuwagen vom Erstbesitzer durchschnittlich 9,9 Jahre lang und 143.398 Kilometer weit gefahren werden, bevor der Wagen abgestoßen wird. Gebrauchtwagenkäufer nutzen ihre Autos sogar noch länger: 12,2 Jahre und 159.647 Kilometer.
Nicht immer nachhaltig
Ist es aus Sicht der Nachhaltigkeit sinnvoll, ältere Pkw länger zu fahren, oder sollten sie in kürzeren Abständen gegen Neuwagen getauscht werden? Das Berliner Öko-Institut gibt die Antwort an einem Beispiel: Bei einem Benziner mit einem Verbrauch von 6,5 Litern auf 100 Kilometer, einer fünfzehnjährigen Nutzungsdauer sowie einer Lebensfahrleistung von 180.000 Kilometern entstehen circa 17 Prozent der CO2-Emissionen bei der Herstellung und 83 Prozent im Betrieb. Für die Treibhausgasemissionen sei es entscheidend, wie groß die Differenz aus dem Betrieb zwischen Neu- und Altfahrzeug ausfalle und wie groß die Aufwände der Herstellung des Neufahrzeugs seien. Wer sein Auto lange nutzt, fährt zwar ressourcenschonend, da durch die Weiternutzung des alten Autos kein neues gebaut werden muss, aber infolge eines höheren Kraftstoffverbrauchs oder Schadstoffausstoßes nicht zwangsläufig nachhaltig. Zudem steigert die Herstellung von Ersatz- und Verschleißteilen die Treibhausgasemissionen über die Lebenszeit weiter. Also doch früher zum Neuwagen greifen? Nicht unbedingt, wie Berechnungen des Öko-Instituts ergeben: Tauscht man etwa einen gebrauchten Kompaktwagen mit einer jährlichen Fahrleistung von 12.000 Kilometern gegen einen Neuwagen ein, sorgt man nur für eine Treibhausgasminderung, wenn der reale Kraftstoffverbrauch mindestens 30 Prozent unter dem des alten Pkw liegt. Doch die Realität sieht oft anders aus: „In der Praxis beobachten wir das Gegenteil, die Fahrzeuge werden größer und sind stärker motorisiert“, sagt Moritz Mottschall, Sprecher des Öko-Instituts. Und wie schneiden Autos aus zweiter Hand bei der Sicherheit ab?
Crashzelle maßgeblich
Das kommt auf das Alter an. Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) hat festgestellt, dass Autos aus den Neunzigern bei ähnlichen Unfällen deutlich stärkere Deformationen als moderne Konstruktionen erleiden. Betrachtet man Autos aus den vergangenen zehn Jahren, so ist die passive Sicherheit der Crashzelle für den Eigenschutz der Insassen häufig noch auf aktuellem Niveau. Etwas anders verhält es sich beim Radfahrer- und Fußgängerschutz. „Weiche Motorhauben für den Kopfaufprall von Fußgängern oder City-Notbremsassistenten mit Fußgänger- und Radfahrererkennung haben erst seit ein paar Jahren Einzug in die Autos gehalten“, sagt Siegfried Brockmann, Leiter der UDV.
Andere komfort- und sicherheitsrelevante Assistenzsysteme sind schon seit Jahren in Pkw vertreten. Je nach Ausstattungsstufe bot Audi etwa für den A3 der dritten Generation (Bauzeitraum 2012 bis 2020) Anfahr- und Einparkassistent, automatische Distanzregelung, Verkehrszeichenerkennung und Tempomat an. „Heute sind lediglich Sensoren und Software etwas besser geworden“, sagt Brockmann.
Wer nun mit einem mehr oder weniger jungen gebrauchten Dauerläufer liebäugelt, sollte sich als Erstes überlegen, wo er den Wagen kaufen will. Erste Anlaufstelle ist der Autohandel. „Der Kunde erhält verschiedene Werkzeuge wie eine Garantie, oft eine neue Hauptuntersuchung, eventuell ein DEKRA-Siegel und einen Fahrzeugübergabe-Check an die Hand. Im seriösen Fahrzeughandel sind die Pakete so fest geschnürt, dass da wenig passieren kann“, erklärt Michael Tziatzios, Leiter Gebrauchtwagenmanagement bei DEKRA. Beim Kauf von privat ist hingegen die Mitnahme eines Fachmanns empfehlenswert.
Neben üblichen Abfrage-Kriterien beim Autokauf sollten Interessenten nach dem Vier-Augen-Prinzip die Zulassungsbescheinigungen Teil I und II auf Übereinstimmung kontrollieren, die Halterzahl mit der Verkaufsanzeige abgleichen und den Kilometerstand anhand von Werkstattprotokollen oder Serviceheft überprüfen. Bestehen Zweifel am angezeigten Kilometerstand, lässt sich dieser in Werkstätten mit Spezialgerät überprüfen; die Daten sind zudem oft deutschlandweit im Netzwerk von Vertragshändlern einsehbar. Bei der Besichtigung gilt es, auf Schäden an der Karosserie zu achten, insbesondere auf Unfallspuren. Ist das Blech unter dem Kofferraumteppich demoliert, weist die Karosserie unterschiedliche Spaltmaße auf oder sind Farbnuancen im Lack erkennbar, könnte das auf verdeckte Unfallschäden hinweisen. Doch aufgepasst: Auf Stahl, Kunststoff und Aluminium wirkt Lackfarbe unterschiedlich. Während Rost an der Karosserie oft nur ein optischer Mangel ist, kann der am Rahmen ein K.-o.-Kriterium sein. Ob eine Reparatur möglich ist und Kosten sowie Aufwand im Vergleich zum Kaufpreis noch wirtschaftlich sind, weiß nur der Fachmann.
Prüfpunkte der Hauptuntersuchung
Wird ein Pkw mit neuer Hauptuntersuchung (HU) angeboten, kann der Käufer sicher sein, dass der Wagen technisch in Ordnung ist. Die umfangreiche Prüfung umfasst unter anderem den Check von Fahrzeugelektronik, Bremsen und Lenkung, Sicht und Licht, Fahrwerk, Rädern und Reifen. Zudem untersuchen die Techniker Abgas- und Geräuschemission, Airbags, eventuelle Öl- und Flüssigkeitsverluste, Beschädigungen, Korrosion und Alterung, sachgemäße Befestigung, Verschleiß, übermäßiges Spiel, Verlegung sowie Frei- und Leichtgängigkeit von Bauteilen und Systemen.
Selbst für Spezialisten kaum zu beantworten ist dagegen die Frage, wie der Vorbesitzer mit dem Auto umgegangen ist. Tziatzios empfiehlt, auf Indizien zu achten, etwa ob auf der Fahrzeugfront viele Steinschläge zu finden sind, was bei niedriger Laufleistung auf einen Raser und Drängler hinweisen könnte. Fallen dem Käufer beim Blick in den Bordcomputer hohe Durchschnittsverbräuche sowie Durchschnittsgeschwindigkeiten auf, könnte das möglicherweise auf einen Vollgasfahrer deuten. Wer auf Nummer sicher gehen will, ob das Wunschfahrzeug technisch in Ordnung ist, könnte mit dem Verkäufer einen Termin bei DEKRA ausmachen. Die Techniker prüfen je nach Wunschpaket Scheiben, Licht, Steuergeräte, Kilometerstand, Motor, Bremsen, Lenkung, Fahrwerk und Abgasanlage auf Funktion sowie Karosserie und Lack auf Zustand.
Ein weiteres Instrument, um das Risiko beim Gebrauchtwagenkauf zu minimieren, ist die Sachmängelhaftung. Weist ein Fahrzeug nach dem Kauf Schäden oder Mängel auf, die beim Kauf bestanden, aber möglicherweise unerkannt blieben, kann der Käufer verlangen, dass der Verkäufer diese behebt oder kann gegebenenfalls sogar vom Vertrag zurücktreten.
Verlängerte Ansprüche
Das seit 1. Januar 2022 geltende überarbeitete Kaufrecht beinhaltet u. a., dass die Frist der Beweislastumkehr von sechs auf zwölf Monate ausgedehnt wurde. Das bedeutet, dass die Beweislast für Mängel am Fahrzeug im ersten Jahr beim Verkäufer liegt und danach auf den Käufer übergeht. Während private Verkäufer die Sachmängelhaftung vertraglich ausschließen können, ist es Händlern erlaubt, diese auf ein Jahr zu begrenzen. Dieser Passus muss aber ausdrücklich im Vertrag ausgewiesen werden.
Neu ist eine Aktualisierungspflicht des Verkäufers. Das betrifft etwa Navigationssoftware-Updates. Die Pflicht stellt sicher, dass die Technik auch nach dem Kauf in einem gewissen Zeitraum funktionstüchtig bleibt. Der Zeitrahmen der Aktualisierungspflicht ist jedoch nicht einheitlich geregelt und sollte im Kaufvertrag individuell festgehalten werden. Anhaltspunkte für die Dauer ergeben sich aus Herstelleraussagen, der Höhe des Kaufpreises oder der Nutzungsdauer. Stellt der Verkäufer keine Updates bereit und lässt den Käufer darüber im Unklaren, liegt ein Sachmangel vor. Der Verkäufer ist aber nicht verpflichtet, verbesserte Versionen bereitzustellen. Die Aktualisierungspflicht lässt sich im Kaufvertrag schriftlich ausschließen, was dann der Fall sein dürfte, wenn Fahrzeug und Technik veraltet sind.
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