24.05.2022 Wolfgang Sievernich

Biokraftstoffe: Hilfestellung für Verbrenner?

Langfristig scheint an der Elektromobilität kein Weg vorbeizuführen, doch kurz- und mittelfristig gilt es auch mit der großen Bestandsflotte der verbrennungsmotorischen Antriebe Treibhausgasemissionen einzusparen. Biokraftstoffe könnten dafür ein probates Mittel darstellen. Ob sie in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln treten und realistische Marktchancen besitzen, haben wir hinterfragt.


Wirft man einen Blick in den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP, zeigt sich, dass die Regierung zur Erreichung der Klimaschutzziele im Straßenverkehr fast nur auf die Elektromobilität setzt. 15 Millionen Elektro-Pkw sollen bis 2030 auf unseren Straßen rollen. Weiterhin will man sich dafür einsetzen, „dass nachweisbar nur mit E-Fuels betankbare Fahrzeuge neu zugelassen werden können.“ Doch bis zum Jahreswechsel (Stand 1. Januar 2022) waren laut Kraftfahrtbundesamt (KBA) erst 618.500 reine E-Autos zugelassen, zudem steckt die  Entwicklung von E-Fuels noch in den Kinderschuhen kleiner Pilotanlagen fest. Experten warnen, dass die Klimaschutzziele im Verkehr allein mit diesen Maßnahmen nicht umzusetzen seien.  

Was der Koalitionsvertrag unbeantwortet lässt, ist weiterhin die Frage, mit welchem Treibstoff die deutsche Bestandsflotte von 31 Millionen Fahrzeugen mit Ottomotoren und fast 15 Millionen Dieseln (Stand 1. Januar 2022) zur Verminderung der Treibhausgasemissionen beitragen könnte? Dafür kämen etwa Biokraftstoffe in Betracht.

Emissionen mindern

Biokraftstoffe sind Autofahrern als Beimischung von herkömmlichem Super- und Dieselkraftstoff bekannt. Je nach Biokraftstoffart, Beimischung oder Reinkraftstoff ist es möglich, den Ausstoß an CO2-Emissionen essentiell zu reduzieren. Zu Biokraftstoffen zählen Biodiesel, Rapsöl, Ethanol, Methan aus Biogas, Synthesekraftstoffe aus Biomasse (BTL-Kraftstoffe) sowie paraffinische Kraftstoffe aus Abfall- und Reststoffen (englisch: Hydrated Vegetable Oils, kurz HVO). Abgesehen von Biomethan, das chemisch mit Erdgas identisch ist, sind Biokraftstoffe flüssig, lagerfähig und über das Tankstellennetz verteilbar. Sie verfügen über eine ähnlich hohe Energiedichte wie konventionelle Kraftstoffe und sind in modernen Verbrennungsmotoren in der Regel drop-in-fähig, also ohne technische Modifikationen nutzbar.

 

Der Ottokraftstoff Super 95 hat einen fünfprozentigen Bioethanolanteil. Bei Super E10 sind es zehn Prozent. Diesel besitzt einen siebenprozentigen Anteil Biodiesel. Foto:stock.adobe.com/© maho

Beigemischt in Benzin ist der Anteil von Bioethanol in den Ottokraftstoffen Super 95 und Super Plus gesetzlich auf fünf Prozent und in Super 95 E10 auf maximal zehn Prozent festgelegt. Rund 90 Prozent aller benzinbetriebenen Motoren vertragen den höheren Bioethanolanteil von E10 bedenkenlos. Halter von älteren Autos sollten im Zweifel beim Hersteller nachfragen, ob für das Modell eine Freigabe vorliegt. Biodiesel ist in Deutschland der bekannteste Biokraftstoff und fossilem Pkw-Diesel bis zu sieben Prozent beigemischt.

Vorzugsweise Rapsöl

Biokraftstoffproduzenten wie die in Marl (NRW) ansässige Natural Energy West GmbH, kurz NEW, stellen Biodiesel aus Rapsöl her. Asien setzt vorzugsweise auf Palmöl und die USA nutzt Sojaöl. Auch Altspeise- und Tierfette dienen als Ressource. „In Zentraleuropa gibt es als Rohstoff von Biodiesel keine Alternative für Raps“, sagt Detlef Volz, Geschäftsführer von NEW. Die energiereiche Pflanze stellt die in der Nahrungsmittelindustrie beliebte und etwa aus der Ukraine stammende Sonnenblume eindeutig in ihren Schatten. Laut der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) wurden in Deutschland im Jahr 2021 2,5 Millionen Tonnen Biodiesel verbraucht. Tendenz steigend, da die Mineralölkonzerne aufgrund der jährlich ansteigenden Treibhausgas-Minderungsquote (THG-Quote) verpflichtet sind, unter anderem über den Zukauf von Biokraftstoffen CO2-Emissionen zu vermeiden. Doch unbegrenzt steigern lässt sich der Rapsanbau nicht. Flächenverbrauch, Einbringung von Pestiziden, Krankheiten und die natürliche Fruchtfolge auf den Feldern beschränken die Expansion der Biokraftstoffe.

Für zusätzlichen Abschwung sorgt momentan auch der Russland-Ukraine-Krieg. Rund zwei Drittel der weltweiten Exporte von Sonnenblumenöl, beispielsweise für die Nahrungsmittelindustrie, entfallen auf die Ukraine und Russland. Sanktionen und Kriegsfolgen beschränken die Warenzufuhr nach Europa signifikant. Das hat die Einkaufspreise von Rapsöl als Lebensmittel in die Höhe getrieben, zulasten der Biodieselproduktion. NEW-Chef Volz hat seine Anlage bereits heruntergefahren, auch weil seine Kunden, die Raffinerien, noch nicht bereit seien, für Biodiesel ebenfalls höhere Einkaufskonditionen zu akzeptieren. Mit einer Verbesserung der Lage sei frühestens wieder mit der neuen Rapsernte ab Spätsommer zu rechnen.

Neben Bioethanol und Biodiesel hat die Industrie noch weitere drop-in-fähige Biokraftstoffe entwickelt, die ohne Modifikationen am Motor getankt werden können. Ein Beispiel ist der Dieselkraftstoff R33 Blue, ein Gemisch aus konventionellem Diesel und 33 Prozent Bio-Komponenten, die aus hydriertem Pflanzenöl und Altspeiseölmethylester, einfach ausgedrückt auch Frittierfett genannt, bestehen. R33 Blue Diesel wurde von Volkswagen in Zusammenarbeit mit der Hochschule Coburg entwickelt. Flottentests ergaben, dass die Treibhausgasemissionen um über 20 Prozent geringer ausfallen und die Motoren weniger Ruß ausstoßen. „R33 Blue Diesel entspricht der Dieselnorm DIN EN 590 und erfüllt alle Kriterien, um als Serienkraftstoff ohne weitere Auflagen eingesetzt zu werden. Jedes Dieselfahrzeug kann R33 Diesel tanken“, sagt Christian Tinney, Sprecher von Volkswagen Products & Technology. Anstelle hydrierter Pflanzenöle eignen sich auch HVO-Äquivalente aus hydriertem Algen- oder Hefeöl, die nicht der Teller-Trog-Tank-Diskussion unterliegen, sich aber noch im Versuchsstadium befinden. Die Verfügbarkeit von R33 Blue Diesel lässt in Deutschland allerdings zu wünschen übrig. Nur wenige Tankstellen in NRW, Hessen, Bayern und Berlin haben den Biokraftstoff bislang in ihr Portfolio aufgenommen.

 

Unter optimalen Bedingungen könnte NEW 240.000 Tonnen Biodiesel pro Jahr herstellen. Die steigende Nachfrage nach Rapsöl als Lebensmittel zwingt das Unternehmen seit Frühjahr 2022 aber dazu, die Produktion zu drosseln. Foto: Wolfgang Sievernich
R33 Blue Diesel wurde in über tausend Fahrzeugen aller Klassen über mehrere Jahre getestet. Foto: Volkswagen

Das liegt Professor Dr. Christian Beidl zufolge auch an der mangelnden Unterstützung durch die Bundesregierung. Der Institutsleiter für Verbrennungskraftmaschinen und Fahrzeugantriebe an der Technischen Universität Darmstadt erklärt: „Es gibt heute in einzelnen Abteilungen der Ministerien Vorbehalte gegenüber allem, was Kraftstoff heißt. Das halte ich für ethisch und moralisch bedenklich. Entweder nimmt man den Klimawandel ernst und lässt alle Pfade dahin zu oder man muss sich den Vorwurf gefallen lassen, rein ideologisch zu agieren.“ Dabei ginge es in Europa auch anders: „Gerade in Ländern, die wir als Vorreiter sehen, wie Skandinavien, sind R33 Diesel und HVO flächendeckend verfügbar“, sagt Prof. Beidl.

Freigaben erteilt

Noch trüber als bei R33 sieht das deutsche Tankstellenangebot beim paraffinischen Dieselkraftstoff HVO aus. Für die Herstellung werden Rest- und Abfallstoffe verwendet wie Altspeiseöl aus der Lebensmittelindustrie oder Pflanzenreste aus der Landwirtschaft. HVO kann herkömmlichem Diesel beigemischt oder zu 100 Prozent als Reinkraftstoff genutzt werden. Und er ist ein echter Klimafreund: Die Treibhausgasemissionen reduzieren sich um satte 70 bis 95 Prozent.

Darauf hat die Automobilindustrie reagiert. So hat Volkswagen seinen seit Ende Juni 2021 ausgelieferten Vierzylinder-TDI-Modellen die Freigabe für HVO erteilt. Audi geht noch einen Schritt weiter. Neben seinen Vierzylinder-TDI-Motoren in A3, Q2 und Q3 können auch alle seit Februar 2022 produzierten V6-Dieselaggregate bis einschließlich 210kW/286 PS Leistung in den Baureihen A4, A5, A6, A7, A8, Q7 und Q8 HVO tanken. Künftig wollen die Bayern weitere Modelle für den Biokraftstoff freigeben.

Allerdings gibt es einen Haken: In Deutschland ist HVO seit Ende 2020 nicht mehr an öffentlichen Tankstellen erhältlich! Der Grund: Die Dichte beträgt etwa 780 Gramm pro Liter, die fossilen Diesels dagegen 820 bis 845 Gramm. Die geringere Dichte bewirkt einen leichten Verbrauchsnach-teil. Trotz der Emissionsvorteile hat das Bundesumweltministerium den Verkauf gestoppt, da HVO aufgrund der Dichte-Differenz nicht der „Verordnung über die Beschaffenheit und die Auszeichnung der Qualitäten von Kraft- und Brennstoffen“ entspricht. Für Prof. Beidl ein Unding: „Ich halte es für abenteuerlich, dass gerade in Zeiten wie diesen HVO im Sinne einer freien Vermarktung in Deutschland nicht zugelassen ist.“ 
 

Während der europäische Markt für Altspeisefette begrenzt ist, steht dieser in Asien in großem Ausmaß zur Verfügung. Foto:stock.adobe.com/© JackStock
Im Vergleich zu fossilem Diesel (rechts) verbrennt HVO (links) rußärmer. Foto: NEXTBTL

Erneuerbare Anteile

Während mit R33 und HVO in Europa gleich zwei potenzielle drop-in-fähige Diesel-Alternativen in den Startlöchern stehen, ist es beim Ottokraftstoff nur eine: Blue Gasoline. Der von Volkswagen und der Hochschule Coburg entwickelte Kraftstoff enthält, genau wie R33, bis zu 33 Prozent erneuerbare Anteile und sorgt für eine CO2-Ersparnis von mindestens 20 Prozent. Die erneuerbaren Anteile bestehen aus rest- respektive abfallstoffbasiertem Naphtha und Ethanol. Naphtha kann aus Tallöl gewonnen werden, einem Nebenprodukt aus der Herstellung von Zellstoff wie Papier. Im Jahr 2021 vorgestellt, entspricht Blue Gasoline der  Norm EN 228/E10 und könnte künftig über das Tankstellennetz vertrieben werden. Aktuell gibt es ihn aber nur an Werktankstellen von Bosch und VW.

Obwohl sich Volkswagen künftig auf elektrische Antriebe fokussiert und bis 2030 seinen CO2-Fußabdruck um vierzig Prozent senken will, sind sich die Wolfsburger darüber im Klaren, dass die E-Mobilität zur Minderung der Treibhausgasemissionen nicht so schnell Fahrt aufnehmen kann. „In den nächsten Jahren wird die CO2-Emission des Straßenverkehrs von der Bestandsflotte dominiert – und das sind überwiegend Fahrzeuge mit Verbrennungskraftmaschinen“, sagt VW-Sprecher Tinney.

Totgesagte leben länger. Das gilt auch für den Verbrenner, ohne den es kurz- und mittelfristig nicht gehen wird. Biokraftstoffe könnten ihren Teil dazu beitragen, die Phase bis zur flächendeckenden Elektromobilität klimafreundlicher zu überbrücken.

 

Blue Gasoline könnte in allen Neu- und Bestandsfahrzeugen eingesetzt werden, die für den Betrieb mit Super 95 E10 freigegeben sind. Foto: Bosch

Drop-in-fähige Biokraftstoffe: 

Biodiesel

  • Rohstoffe: Raps- und Pflanzenöle sowie tierische Fette
  • Biodiesel in Reinform: Freigabe des Herstellers erforderlich; als Beimischung bis 7 % ohne Anpassung des Motors einsetzbar;  Norm: EN 14214
  • Verfügbarkeit in Deutschland: alle Tankstellen

Bioethanol

  • Rohstoffe: Getreide, Zuckerrüben, Mais
  • Beimischung: In Superkraftstoff zwischen 5 % (Super 95 E5) und 10 % (Super 95 E10). Ottokraftstoffe mit höheren Ethanolanteilen wie E85 (85 %) spielen derzeit keine Rolle.
  • Verfügbarkeit in Deutschland: alle Tankstellen

Diesel R33 Blue

  • Rohstoffe: Hydriertes Pflanzenöl (26 %) und Altspeisemethylester (7 %)
  • Beimischung: In Dieselkraftstoff (33 %); Norm: DIN EN 590
  • Verfügbarkeit in Deutschland: nur wenige Tankstellen

HVO

  • Rohstoffe: Altspeiseöl, Pflanzenreste aus der Landwirtschaft
  • Reinkraftstoff (100 %) oder Beimischung in Dieselkraftstoff; Norm: EN 15940
  • Verfügbarkeit in Deutschland: keine gesetzliche Zulassung
  • Rohstoffe: Rest- und abfallstoffbasiertes Naphtha und Ethanol
  • Beimischung: In Ottokraftstoff (33 %); Norm: EN 228/E10
  • Verfügbarkeit in Deutschland: noch nicht eingeführt

 

Titelfoto: Foto:stock.adobe.com/©Lizard56


Kategorien