BGH-Urteil: VW-Kunden erhalten Schadensersatz
Klagenden Verbrauchern, die ein Auto aus dem VW-Konzern mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung besitzen, stehen Schadensersatzansprüche gegenüber VW zu. Zu diesem Schluss kam der Bundesgerichtshof in Karlsruhe.
Die Richter stellten fest, dass VW seine Kunden vorsätzlich sittenwidrig schädigte. Der Autobauer hätte im „Kosten- und damit auch Gewinninteresse“ das Kraftfahrbundesamt getäuscht und die Motorsteuerungssoftware der Dieselfahrzeuge so programmiert, „dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden“, erklärten die Richter. Neben einer höheren Umweltbelastung hätte auch die Gefahr bestanden, dass sogar der Betrieb des Fahrzeugs hätte untersagt werden können. Dieses Verhalten stuft der BGH als „besonders verwerflich“ ein und es sei „mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren“. Das gelte auch für Gebrauchtwagen, heißt es in dem Urteil.
Im konkreten Fall (Aktenzeichen VI ZR 252/19) wollte der Fahrer eines gebrauchten VW Sharan den vollen Kaufpreis (31.490 Euro) von VW zurückerstattet haben. Der Van aus dem Jahr 2014 hat den in Verruf geratenen Dieselmotor des Typs EA 189 (Abgasnorm Euro5) und erhielt 2017 ein Softwareupdate. VW verneinte schon in den vorausgegangenen Instanzen, dass dem Kläger überhaupt ein Schaden entstanden sei. Das Oberlandesgericht Koblenz verurteilte VW im Juni 2019 zu einer Schadensersatzzahlung in Höhe von rund 25.600 Euro zuzüglich Zinsen und zur Rücknahme des Fahrzeugs. Doch beide Parteien gingen in Revision – der Sharan-Fahrer wollte sich nicht mit dem Abzug des Nutzungsvorteils abfinden; VW wies jegliche Schuld von sich.
Abzug des Nutzungsvorteils rechtens
Die BGH-Richter sahen das anders. Während VW verpflichtet wurde, dem Kläger die volle Kaufsumme zurückzuzahlen, muss dieser akzeptieren, dass von der Kaufsumme noch der Nutzungsvorteil abgezogen werden darf. Volkswagen kündigte unmittelbar nach dem Urteil an, viele der klagenden Kunden entschädigen zu wollen. Man biete Einmalzahlungen als „pragmatische und einfache Lösung“ an, sagte ein Konzernsprecher. Offenbar schließt das eine Rücknahme der Fahrzeuge aber größtenteils aus.
Nach VW-Angaben sind bundesweit noch rund 60.000 Verfahren anhängig, also nicht rechtskräftig entschieden oder per Vergleich beendet. Das BGH-Urteil hat für viele dieser Fälle eine Signalwirkung. Auf den im Rahmen der Musterfeststellungsklage ausgehandelten Vergleich, den laut Volkswagen inzwischen rund 240.000 Diesel-Besitzer akzeptiert haben, hat das Urteil keine Auswirkungen mehr.
Noch Klageerhebungen möglich
Umstritten ist, wer jetzt noch klageberechtigt ist. VW pocht auf die dreijährige Verjährungsfrist in zwei Varianten: Die erste beginnt Ende 2015 und endet 2018. Die zweite startet Ende 2016 und endet 2019. In der Regel beginnt die Verjährungsfrist am Ende des Jahres, in dem das Tatereignis stattfand, wie es im Juristendeutsch heißt. Das Landgericht Duisburg (Aktenzeichen 4 O 165/19) bemängelte am 20. Januar dieses Jahres allerdings, dass die Rechtslage dazu nicht eindeutig sei. Das Gericht hält die Klageerhebung für Gläubiger unzumutbar, wenn die Rechtslage besonders verwickelt und problematisch sei oder wenn gewichtige rechtliche Zweifel vor der Klärung der Rechtslage bestünden. Sieht der BGH die problematische Rechtslage im Fall VW als gegeben an, dann verlängere sich der Diesel-Abgasskandal um den VW-Motor EA 189 nach dem Urteilsspruch erneut – eventuell um weitere drei Jahre, sodass auf VW eine neue Klagewelle zurollen könnte. Sicher ist bislang allerdings nur, dass Teilnehmer der Musterfeststellungsklage noch bis Ende Oktober dieses Jahres Einzelklage erheben können, wenn sie dem Vergleich von VW nicht zustimmten. Allen anderen empfiehlt der ARCD eine anwaltliche Erstberatung, da sich der Bundesgerichtshof auch bei der Verjährung noch positiv auf die Seite der betroffenen Verbraucher schlagen könnte.
Titelfoto: ARCD