11.04.2023 Andy Schwietzer

Frische Bikes für die neue Saison 2023

Was für Autos gilt, trifft auch auf Motorräder zu: Anbieter aus China machen sich zunehmend auf dem europäischen Markt breit. Aber die etablierten Hersteller halten dagegen. Wir haben eine subjektive Auswahl interessanter Neuheiten für 2023 getroffen.


Das Jahr 2023 zeigt sich im Frühjahr nach wie vor im Krisenmodus: holprige Lieferketten, hohe Strom- wie auch sonstige Energiepreise und vor allem eine saftige Inflation lassen Bundesbürger rechnen und grübeln. Sparsamkeit ist Trumpf – das könnte auch zu einer Zeitenwende im Zweiradbereich führen. Und siehe da: Speziell elektrische Zweiräder und vor allem 125er-Roller boomen bei den Händlern und machen sich um Entlastung im urbanen Verkehr verdient. Gleichzeitig ist die Motorradszene im Umbruch. Chopper und Sportmaschinen tun sich schwer im Verkauf, stattdessen scheinen Adventure-Bikes der neue Trend zu sein.

China im Aufwind

Häufig trennen nur Ehepartner oder Kreditsachbearbeiter vom Traummotorrad. Und genau hier, an der Preisschraube, setzt ein großer Player den Hebel an, dessen Motorräder sich anschicken, den europäischen Markt zu erobern: Wie sich vor einigen Monaten auf den Leitmessen in Köln (Intermot) und Mailand (Eicma) nicht nur an massiver Präsenz zeigte, sind die Chinesen gut im Geschäft. Auch gemeinsam mit anderen Produzenten: BMW bezieht die Mittelklasse-Motorradtriebwerke von Loncin, KTM lässt bei Kooperationspartner CF Moto ebenfalls Twins bauen. Neben den Marken Voge und CF Moto zeigen „chitalienische“ Marken wie Benelli, Fantic, Lambretta, Morini und SWM, wie sich ein europäischer Stammbaum und italienisches Design erfolgreich mit der günstigen Fertigung im Reich der Mitte verquicken lassen.

Benelli ist mit der Mittelkasse-Enduro TRK 502 in Italien inzwischen Marktführer und hat BMW vom Thron gekippt. Ähnlich erfolgreich agiert die indische Marke Royal Enfield, die mit handfesten Motorrädern den zuweilen rätselhaften Subkontinent stilvoll vertritt. Es bleibt also spannend, auch außerhalb der chinesischen Einflusssphäre. Wir präsentieren aus einer breiten Auswahl ein halbes Dutzend neue Modelle, die wir – jedes auf seine Weise – bemerkenswert finden.

 

Foto: Moto Guzzi

Sporttourer: Italienische Momente

Moto Guzzi V 100 Mandello

Italiens Traditionsmarke Nummer eins, Moto Guzzi, meldet sich kraftvoll zurück. Der zum Piaggio-Konzern gehörende Hersteller ist stolz auf die erste komplette Neuentwicklung seit 1977 mit dem verblüffend logischen Guzzi-Antriebsschema: Auch die neue V 100 besitzt einen V2-Motor mit vibrationsarmem 90-Grad-Zylinderwinkel, längs liegender Kurbelwelle und Kardanantrieb zum Hinterrad – aber erstmals Wasserkühlung. Das große, gleichzeitig nicht überzüchtete Aggregat zieht die V 100 perfekt von unten bis oben, die Guzzi lässt sich besser schalten denn je. Das Motorrad fährt wie auf Schienen und bremst erstklassig. Dazu gibt es Komfort für zwei und moderne Details wie Kurven-ABS, TFT-Cockpit oder ein elektrisch justierbares Windschild. Die S-Version mit semi­aktivem Öhlins-Fahrwerk und Schaltassistent kostet 2.500 Euro extra.

Motor: 2 Zylinder in V-Form
Hubraum: 1.042 cm³
Antrieb: Kardan
Gänge: 6
Leistung: 85 kW/115 PS
Spitze: 230 km/h
Gewicht: 240 kg
Herstellungsland: Italien
Preis: ab 15.499 €
Foto: Royal Enfield

Cruiser: Lässige Ausstrahlung

Royal Enfield Super Meteor

„Probier‘s mal mit Gemütlichkeit!“ empfiehlt Royal Enfield mit dem Mittelklasse-Cruiser Super Meteor. Der luft-/ölgekühlte Twin bewährte sich bereits in anderen Modellen. Die Meteor überfordert niemanden und wirkt dabei wertig und solide. Ihre Verarbeitung ist tadellos. Die Ergonomie überzeugt Freunde des entspannten Gleitens. Der Hüftspeck des Cruisers wird von seinem tiefen Schwerpunkt gut kaschiert, und das Fahrverhalten gibt keine Rätsel auf. LED-Licht, Turn-by-turn-Navi und USB-Dose sind auch schon an Bord. Komfortabler noch ist für 500 Euro Mehrpreis die Super Meteor Tourer mit bequemerer Bank für zwei, Windschild und Zwei-Farben-Lack.

Motor: 2 Zylinder in Reihe
Hubraum: 648 cm³
Antrieb: Kette
Gänge: 6
Leistung: 35 kW/47 PS
Spitze: ca. 160 km/h
Gewicht: 241 kg
Herstellungsland: Indien
Preis: ab 8.390 €
Foto: Honda

Roadster: Handliche Hornisse

Honda Hornet CB 750

Die erste Honda Hornet war in den Neunzigern ein Begriff für vierzylindrige Lebensfreude. Die neue Hornet ist mit ihrem 270-Grad-Reihen-Twin ein Kind der konstruktiven Sparsamkeit, welche die immer noch gültige „8er“-Forderung an das ideale Motorrad – 180 kg, 80 PS, 800 cm³ – beinahe erfüllt. Hondas Qualität ist Maßstab für alle anderen und die Ergonomie erstklassig. Auch das Fahrverhalten ist – dank vernünftiger Reifengrößen – sehr handlich. Dazu kommt ein Kampfpreis, der sogar Chinesen erschauern lässt. Und wo ist der Haken? Bis auf die Vorspannung der Heckfeder kann am Fahrwerk nichts justiert werden, Windschutz ist kein Thema für Roadster.

Motor: 2 Zylinder in Reihe
Hubraum: 755 cm³
Antrieb: Kette
Gänge: 6
Leistung: 68 kW/92 PS
Spitze: 205 km/h
Gewicht: 190 kg
Herstellungsland: Taiwan
Preis: ab 7.890 €
Foto: Suzuki

Adventure-Bike: Laufruhiges Multitool

Suzuki V-Strom 800 DE

Ob man sich bei Suzuki ärgert, dass Honda mit der ähnlich konzeptionierten Africa Twin zeitgleich debütiert? Beide Maschinen verfügen über einen Zweizylinder-Reihenmotor, der mit 270 Grad Hubzapfenversatz im Laufbild einen 90-Grad-L-Motor imitiert. Der Twin ist billig zu bauen und taucht daher nun überall auf. Die robust gehaltene Suzuki punktet mit einer patentierten 90-Grad-Ausgleichswelle für sanften Motorlauf, langen Federwegen (je 220 mm), voll justierbaren Federelementen, gutem Drehmomentverlauf und diversen Assistenzsystemen. Nicht so brillant ist das relativ üppige Gewicht der DE, aber die V-Strom waren stets sehr robust und verlässlich.

Motor: 2 Zylinder in Reihe
Hubraum: 776 cm³
Antrieb: Kette
Gänge: 6
Leistung: 62 kW/84 PS
Spitze: ca. 190 km/h
Gewicht: 230 kg
Herstellungsland: Japan
Preis: ab 11.500 €
Foto: Aprilia

Sportler: Nachgeschärfter Renner

Aprilia RS 660 Extrema

„Fight the fat!“ könnte die Devise für die Aprilia Extrema lauten. Mit der Extrema-Ausstattung (SC-Schalldämpfer, Carbon-Teile sowie passende Software für rundkursübliche Umkehr des Schaltschemas) wird der kompakte Twin aus Noale abermals erleichtert und angeschärft. Quirlige Handlichkeit (Radstand nur 1,37 m) geht einher mit messerscharfer Fahrpräzision. Ein drehzahlgieriger Drehwurm-Twin mit fulminanten 100 PS trifft auf geringes Gewicht und eine rennmäßige „Bück dich“-Ergonomie. Schaltautomat und Kurven-ABS entlasten den Piloten. Fahrschüler und Schaltfaule sind hier fehl am Platz. Mit diesem Gerät treten routinierte Sportfahrer großen Vierzylinder-1000ern auf die Füße – am besten beim Renntraining auf dem Rundkurs.

Motor: 2 Zylinder in Reihe
Hubraum: 659 cm³
Antrieb: Kette
Gänge: 6
Leistung: 74 kW/100 PS
Spitze: 230 km/h
Gewicht: 182 kg
Herstellungsland: Italien 
Preis: ab 12.000 €
Royal Enfield

Pendler: Charmanter Sparfuchs

Royal Enfield HNTR

Mit 20 PS im Motorrad sind auf unseren Fernstraßen Verzicht und Demut gefragt. Daher muss die Frage gestellt werden, ob solch ein Schwellenland-Superbike wie die Royal Enfield HNTR aus Indien hier Freude bereiten kann. „Aber ja!“, heißt die Antwort. In den tempomäßig beschränkten Ballungsgebieten und auf den ungezählten Landsträßchen spielt die HNTR ihre Trümpfe aus. Ihr dumpf bollernder Langhubmotor pulsiert weich und zieht spontan bei jeder Drehzahl, ihre Handlichkeit lässt das viel zu hohe Gewicht vergessen. Zwei Personen sitzen bequem und erfreuen sich an überdurchschnittlichem Federungskomfort sowie einem Verbrauch von 2,8 Litern auf 100 Kilometer. Die HNTR überträgt die klassischen Motorradtugenden der lässigen Agilität samt geringer Kosten in das 21. Jahrhundert.

Motor: 1 Zylinder 
Hubraum: 776 cm³
Antrieb: Kette
Gänge: 5
Leistung: 15 kW/20 PS
Spitze: ca. 115 km/h
Gewicht: 181 kg
Herstellungsland: Indien
Preis: ab 4.590 €

Titelfoto: stock.adobe.com/© Lukas Gojda


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