03.01.2020 Thomas Schreiner

Tschüss Smartphone! Warum wir keine Angst haben sollten, etwas zu verpassen

Ablenkung im Straßenverkehr wird noch immer radikal unterschätzt. Dabei sind häufig schwächere Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Radfahrer die Leidtragenden – und dennoch selbst unvernünftig.


Es ist ein Urteil, das aufhorchen lässt. Deutsche Medien berichteten Ende 2019s, dass im US-Bundesstaat New Jersey eine Frau des Totschlags mit einem Fahrzeug schuldig gesprochen wurde. Den Berichten zufolge habe die 50-Jährige hinter dem Steuer eine SMS geschrieben und sei ungebremst auf ein Auto aufgefahren, das an einem Fußgängerüberweg wartete. Durch die Wucht des Aufpralls sei dieses Auto nach vorne geschoben worden und habe eine Fußgängerin erfasst, die wenige Tage später ihren Verletzungen erlag.

Urteil mit Signalwirkung

Auch wenn diese Gerichtsentscheidung in Übersee gefällt wurde, geht von dem Fall eine eindeutige Botschaft an alle aus: Im Straßenverkehr mit dem Smartphone zu hantieren, birgt großes Gefahrenpotenzial. Und wer Auto fährt, hat davon die Finger zu lassen.

Ständig erreichbar zu sein, ist heute kein Problem mehr. Das hat oft seine guten Seiten, führt aber auch dazu, dass sich Menschen dadurch selbst unter Druck setzen, jederzeit für jeden ansprechbar zu sein. Was im gewöhnlichen Alltag noch machbar erscheint, kann im Straßenverkehr zum Problem werden. Dann nämlich, wenn die Verführung zu groß wird, auch im Auto, auf dem Fahrrad oder dem E-Scooter ständig nachsehen zu wollen, was es wieder Neues gibt. Dass in Zeiten von Instagram, Whatsapp und Co. jede eintreffende Meldung sofort wichtig ist, entpuppt sich bei genauem Hinsehen jedoch meist als Trugschluss. „Keine Nachricht ist so wichtig wie das Leben“, sagt Ute Hammer, Geschäftsführerin des Deutschen Verkehrssicherheitsrats. Trotzdem werden gerade Chats in der Regel als lebenswichtig empfunden. Es könnte ja sein, dass man genau in dem einen Moment etwas Entscheidendes verpasst.

Ablenkung betrifft alle

Ist jedoch der Drang, ununterbrochen auf dem Laufenden bleiben zu wollen, jedes Risiko wert? Über die Gefahren durch Ablenkung am Steuer wurde schon viel gesagt. Aber auch Fußgänger sind sich der Gefahr oft nicht bewusst, der sie sich mit dem Smartphone im Straßenverkehr aussetzen. Wie eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Verkehrssicherheitskampagne „Runter vom Gas“ ergab, hält mehr als die Hälfte der Fußgänger in Deutschland die Ablenkung durch Mobiltelefone für vollkommen ungefährlich. Ein Irrtum, wie ein Unfall im Dortmunder Hafenbereich Ende November an einem unbeschrankten Bahnübergang verdeutlicht. Trotz optischer und akustischer Warnsignale wurde dort eine 47-jährige Frau beim Überqueren der Gleise von einem Zug erfasst und schwer verletzt. Zeugen berichteten der Polizei später, das Unfallopfer sei kurz zuvor durch ein Mobiltelefon und Kopfhörer abgelenkt gewesen.

Ein Szenario, von dem Prof. Martin Lacher befürchtet, es könnte sich in Zukunft häufiger ereignen. Der Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinderchirurgie am Universitätsklinikum Leipzig hat mit Kollegen smartphonebezogene Unfälle bei Kindern und Jugendlichen über zehn Jahre hinweg untersucht. Die Experten rechnen mit zunehmenden Unfällen mit „Smombies“.

Smombie ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus den Begriffen Smartphone und Zombie. Gemeint sind damit Menschen, die mit gesenktem Kopf und permanentem Blick auf ihr Mobiltelefon so abgelenkt sind, dass sie ihre Umgebung kaum mehr wahrnehmen. Sind Smombies im Straßenverkehr unterwegs, fehlt ihnen somit die Aufmerksamkeit für mögliche Gefahren.

Doch nicht nur das, sie werden sogar selbst zur Gefahrenquelle, sagt Prof. Lacher: „Sie stoßen mit anderen Fußgängern oder Radfahrern zusammen oder laufen, ohne den Blick zu heben, über die Straße.“ Die Verbreitung von Smartphones und die Gewöhnung an die ständige Fixierung auf die Geräte bereiten dem Mediziner Sorgen.

Vorbilder sind wichtig

Aus Jugendlichen werden Erwachsene, die gewohnte Verhaltensweisen weiterführen. Gegen steigende Unfallzahlen könnten daher Vorbilder helfen, betont Prof. Lacher. Eine Möglichkeit sei, als Erziehungsberechtigte mehr Aufmerksamkeit zu zeigen und die eigene Vorbildrolle in Bezug auf den Umgang mit Smartphones ernst zu nehmen.

Dass der Trend momentan in eine andere Richtung geht, beobachtet auch die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). Zudem habe sich der Verkehr durch E-Bikes, Pedelecs oder E-Scooter zuletzt beschleunigt. „Hier darf sich kein Verkehrsteilnehmer mehr eine unaufmerksame Sekunde erlauben durch Handy-Daddeln oder Träumen“, warnt Dr. Christopher Spering, Leiter der DGOU-Sektion Prävention, vor fatalen Zusammenstößen.

Jeder, der sich in den öffentlichen Verkehrsraum begibt, sollte sich daher bewusst machen, wann er sein Smartphone benutzt. Und im Zweifel lieber darauf verzichten. Etwas wirklich Wichtiges verpasst er dabei selten.

Im ARCD-Fahrsimulator können Teilnehmer ihr Gespür für Verkehrssicherheit in einer realitätsnahen virtuellen Umgebung schulen. Foto: Thomas Schreiner

ARCD-Aktion gegen Ablenkung

Seit vielen Jahren engagiert sich der ARCD im Kampf gegen Ablenkung im Straßenverkehr. Mit der Fahrsimulator-Aktion „Lass dich nicht APPlenken!“ ist Ihr Club in ganz Deutschland unterwegs, um auf die Gefahren durch Ablenkung aufmerksam zu machen und Lösungen aufzuzeigen. Eine Website zur Aktion vermittelt wichtige Infos und lädt mit einem „virtuellen Fahrsimulator“ zum Mitmachen ein. Auf der Website stehen auch die Termine, wann und wo „Lass dich nicht APPlenken!“ Halt macht. Die Liste wird regelmäßig aktualisiert, reinschauen lohnt sich. Über größere Veranstaltungen informiert auch der ARCD-Newsletter.

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