02.04.2020 Jessica Blank

Regeln und Tipps für sicheres Überholen

Fehlerhaftes Überholen ist zwar nicht die häufigste ­Unfallursache, doch wenn, sind die Folgen meistens schwerwiegend. Die Polizei und ein Fahrlehrer erklären, wie sicheres und richtiges Überholen funktionieren kann. Und auch der Straßenbau trägt mit ausgewiesenen Möglichkeiten seinen Teil dazu bei.


Ein aufgemotzter Kleinwagen kommt von hinten angerauscht, schert aus ohne zu blinken und zieht bedenkenlos an einer Kolonne von mehreren Fahrzeugen vorbei. Die Situation ist an sich schon unübersichtlich, wäre da nicht noch die Kurve… Als Beobachter möchte man da einfach nur die Augen schließen und beten, nicht eine folgenschwere Kollision miterleben zu müssen. Eine nahezu alltägliche Situation auf deutschen Landstraßen. Dabei sollte jeder in der Fahrschule gelernt haben, wie richtiges und sicheres Überholen funktioniert.

„Überholen ist ein wichtiges Thema in der Fahrausbildung, auch in der Theorie“, erklärt Kurt Bartels. Der stellvertretende Vorsitzende der Bundesvereinigung der Fahrlehrerverbände ist seit fast 40 Jahren Fahrlehrer und hat so einigen Schülern richtiges Verhalten beim Überholen beigebracht. In der Theorieprüfung gebe es eine intensive Fragestellung dazu mit Videos, sagt er.

Vor dem Überholvorgang sollte man sich die „DKW“-Fragen stellen. Darf ich überholen? „Das heißt, ist es rechtlich zulässig oder gibt es Überholverbote”, erläutert Bartels. Kann ich überholen? „Also reichen Abstände und Strecke aus?“ Und zuletzt: Wie überhole ich? Es sei ein Unterschied, ob man einen Radfahrer innerorts oder einen Lkw auf der Landstraße überholen möchte, verdeutlicht Bartels.
Bei Radfahrern gelten nach der StVO-Novelle 1,5 Meter Abstand innerorts, außerorts zwei Meter. „Radfahrer sind ungeschützte Verkehrsteilnehmer und schwenken in ihrer Fahrlinie durch die Fahrdynamik natürlicherweise aus“,  erklärt Frank Rentmeister, Erster Polizeihauptkommissar und Pressesprecher der Kreispolizeibehörde Borken. „Deshalb ist besonderer Wert auf die Einhaltung des Seitenabstandes zu legen.“

Auch für alle anderen Überholvorgänge gibt es Vorschriften in der Straßenverkehrsordnung. „Gemäß § 5 StVO darf nur  überholen, wer übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist“, sagt Rentmeister. Zudem müsse der Überholende eine wesentlich höhere Geschwindigkeit haben – etwa 20 Prozent Differenz ist die Faustregel. Das Tempolimit darf dabei natürlich nicht überschritten werden.

Das Thema Abstände besteht nicht nur bei Radfahrern. Auch die Sicherheitsabstände zu vorausfahrenden Fahrzeugen müssen eingehalten werden. Hier gilt: halber Tachowert in Metern. Einen Tipp für den richtigen Abstand vor dem Beenden des Überholvorgangs hat Bartels: „Wenn ich das überholte Fahrzeug komplett im Innenspiegel sehe, bin ich vorbei. Dann kann ich wieder einscheren.“ Werden alle Abstände richtig eingehalten, benötige ein Autofahrer, der mit 100 km/h einen Lkw mit 60 bis 70 km/h überholen möchte, zirka eine freie Strecke von 350 bis 400 Metern. „Dann muss ich den Vorgang beendet haben. Wenn die Strecke unübersichtlich ist, muss ich mit Gegenverkehr rechnen, dann kommt diese Strecke noch mal dazu“, erläutert Bartels. Also etwa 700 bis 800 Meter. Diese Grundregel müsse jeder Fahrschüler kennen.

Richtige Blickführung

Die richtige Blickführung ist bei jedem Überholvorgang unerlässlich. Der Fahrer muss den nachfolgenden Verkehr im Auge behalten und nach vorne weit in die Ferne blicken können. „Man muss absehen können, dass in 15 bis 20 Sekunden kein Gegenverkehr kommt. Und man muss frühzeitig beobachten, ob es ein Überholverbot gibt“, sagt der Fahrlehrer.

Am häufigsten überholt wird auf der Autobahn. Dort droht zwar kein Gegenverkehr, Regeln gibt es aber trotzdem zu beachten. Viele Autofahrer vergessen oft, dass sie nach dem Überholvorgang wieder rechts rüberfahren müssen. „Es gilt Rechtsfahrgebot! Auf der mittleren Spur zu bleiben, ist nicht erlaubt“, macht Fahrlehrer Bartels deutlich.

Apropos: Wann ist rechts überholen erlaubt? Auf der Autobahn bei stockendem Verkehr bis maximal 80 km/h und wenn auf der rechten Spur höchstens 20 km/h schneller gefahren wird – allerdings ohne Kolonnen zu springen. Auch auf den Ein- und Ausfädelungsstreifen der Autobahn darf rechts überholt werden, ebenso bei sogenannten Breitstrichlinien an Autobahnkreuzen.

„Rechts überholen darf man auch als Linksabbieger, wenn die anderen sich deutlich eingeordnet haben und  wenn es mehrere Fahrstreifen in eine Richtung innerhalb geschlossener Ortschaften gibt“, erklärt Bartels. Straßenbahnen dürfen rechts überholt werden, wenn die Schienen in der Straßenmitte verlaufen. „Wenn die Straßenbahn hält und Fahrgäste ein- und aussteigen, gilt Überholverbot.” An Bussen, die mit eingeschalteter Warnblinkanlage halten, dürfe man nur im Schritttempo vorbeifahren. An parkenden Fahrzeugen fährt man rechtlich gesehen vorbei und überholt nicht.

Große Gefahr

289.095 Verkehrsunfälle mit Personenschaden verzeichnete das Statistische Bundesamt von Januar bis Oktober 2019. Davon war mit 11.442  Fällen fehlerhaftes Überholen nicht der häufigste Grund. Ebenso nicht im gesamten Jahr 2019 im ländlich geprägten Kreis Borken in Nordrhein-Westfalen. Dort wurde lediglich bei vier Prozent aller Unfälle mit Personenschaden Überholen als Hauptursache festgestellt.  „Dies ist ein Glück, denn wenn es zu Unfällen in Zusammenhang mit Überholvorgängen kommt, haben diese sehr häufig schwerste Folgen, da es sich oft um Zusammenstöße im fließenden Begegnungsverkehr mit dementsprechend hohen Aufprallenergien handelt“, sagt Polizeihauptkommissar Rentmeister. „Gefährlich wird es immer, wenn ich nicht weiß, was die anderen Verkehrsteilnehmer um einen so machen“, erklärt Fahrlehrer Bartels. „Deshalb ist Überholen bei unklarer Verkehrslage auch verboten!“

Die Polizei versucht, durch Aufklärung und konsequente Verkehrsüberwachung solche Unfälle zu vermeiden und gegen gefährliche Überholvorgänge vorzugehen. Die möglichen Strafen sind vielfältig. Für verbotswidriges Rechtsüberholen innerhalb geschlossener Ortschaften drohen etwa 30 Euro Bußgeld, außerorts bereits 100 Euro und ein Punkt. Fehlerhaftes Überholen mit Unfallfolge wird mit 300 Euro, zwei Punkten und Fahrverbot geahndet. „Wer grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch überholt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, begeht sogar eine Straftat“, macht Rentmeister deutlich. Eine Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren können die Folge sein.

Straßenbau kann helfen

Nicht nur die Verkehrsüberwachung trägt ihren Teil zur Verkehrssicherheit bei. Auch straßenbaulich wird einiges umgesetzt, um das Überholen sicherer zu machen und die Unfallzahlen zu senken. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) beschäftigt sich bereits seit zehn Jahren mit dem Thema Außerortssicherheit. In diesem Projekt wurden Maßnahmen zur Durchsetzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und Sicherheit von Überholvorgängen erarbeitet. Auf den Untersuchungsstrecken, die mit Überholfahrstreifen ausgestattet waren, konnte eine signifikante Verbesserung der Verkehrssicherheit festgestellt werden. Unfallzahlen und die Unfallschwere konnten reduziert werden.

Bereits in den 1980er-Jahren wurde begonnen, Überregionalstraßen teilweise dreistreifig auszubauen. „Früher hat man den Fahrstreifen wegen der fehlenden Kapazität dazugebaut“, erklärt Dr.-Ing. Marco Irzik vom Referat für Straßenentwurf, Verkehrsablauf und Verkehrsregelung der BASt. Auch damals sei das Thema Überholen schon präsent gewesen. Auf diesen Straßen besteht etwa auf 20 Prozent einer Fahrtrichtung eine sichere Überholmöglichkeit. Das heißt, alle paar Kilometer werden diese zweistreifigen Landstraßen durch einen Überholfahrstreifen ergänzt. Im Gegenzug besteht auf der zweistreifigen Strecke meist Überholverbot.

Relativ neu ist der durchgängig dreistreifige Ausbau auf Fernstraßen. Auf diesen steht auf der Hälfte der Strecke in jeder Fahrtrichtung eine Überholmöglichkeit zur Verfügung. Ein breiter grüner Mittelstreifen dient als deutliche räum­liche Trennung. Dieser Landstraßentyp ist allerdings noch nicht weit verbreitet. „Der vollwertige dreistreifige Ausbau schneidet fast so gut ab wie der vierstreifige“, sagt Irzik. In Zukunft soll auch das Landstraßennetz standardisiert werden. „Es soll einen Wiedererkennungswert für die Verkehrsteilnehmer haben, damit diese sich intuitiv richtig verhalten“, erklärt der Ingenieur. Das heißt: Ein grüner Strich bedeutet, dass alle paar Kilometer eine sichere Überholmöglichkeit kommt.
Autofahrer  sollten dennoch vorausschauend und rücksichtsvoll gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern fahren – und überholen. Polizeihauptkommissar Rentmeister hat noch ein paar Tipps für mehr Sicherheit: „Alle Ge- und Verbote strengstens beachten und beim geringsten Zweifel nicht überholen. Nicht dem ersten Überholimpuls folgen – die Situation nochmals bewusst überprüfen!“

Titelfoto: Jessica Blank