14.06.2021 Christian Enz

Der Rostocker Pfeilstorch

Was machen Zugvögel im Winter? Eine wichtige Frage der Menschheit beantwortete der Rostocker Pfeilstorch. Er kann im Zoologischen Institut besichtigt werden.


Unser Wissen über die Vogelwelt ist noch nicht besonders alt. Beispielsweise war vor gut 200 Jahren noch völlig unbekannt, wie Zugvögel überwintern. Es existierten gewagte Theorien bis hin zu der Idee, die Vögel würden sich im Winter in Mäuse verwandeln. Damit ist am 28. August 1822 Schluss. An diesem Tag vermacht Großherzog Friedrich Franz I. der Zoologischen Sammlung der Universität Rostock ein seltsames Tierpräparat: den Rostocker Pfeilstorch.

Die Schenkung ist der Schlusspunkt einer abenteuerlichen Reise. Wie lange sie genau gedauert hat, wird niemals zu klären sein. Fest steht, dass Bewohner von Gut Bothmer im Mai des Jahres 1822 eine seltsame Entdeckung machen. Sie beobachten einen Weißstorch, dem ein gut 80 Zentimeter langer Stock am Hals herunterhängt. Eilig wird Christian Ludwig Reichsgraf von Bothmer herbeigerufen. Der Gutsherr beschließt kurzerhand Jagd auf den Weißstorch zu machen - und ist erfolgreich. Als das Tier erlegt ist, stellt sich Unglaubliches heraus: Der vermeintliche Stock ist ein aus Holz geschnitzter und mit eiserner Spitze ausgestatteter Pfeil.

Niemand ahnt in diesem Moment, wie bedeutsam diese Entdeckung ist. Dass es sich um eine Rarität handelt, ist jedoch klar. So überstellt der treue Lehensherr den aufgespießten Weißstorch unverzüglich an die großherzogliche Präparationswerkstatt der Residenz in Ludwigslust. Fachkundig nimmt man sich dort des Weißstorchs an und präpariert ihn so vorzüglich, dass er noch heute im Detail betrachtet werden kann. Großherzog Friedrich Franz I. ist begeistert von Bothmers Beute, hat jedoch keine direkte Verwendung - und übergibt das konservierte Tier schließlich an die Universität.

Die Mitglieder der Zoologischen Fakultät erkennen die Bedeutung des verletzten Storches sofort. Der lange Hals ist von unten nach oben mit einem indianischen Pfeil durchbohrt. Dieser liefert den Beweis, dass der Weißstorch bis in das äquatoriale Afrika vorgedrungen sein musste. Damit war erstmals die Theorie des Fernzuges bewiesen. Deshalb ist der Rostocker Pfeilstorch nicht nur unter Ornithologen heute weltbekannte. Über 15.000 Besucher werfen Jahr für Jahr einen Blick auf den ersten Pfeilstorch.

Als Pfeilstorch gilt ein Weißstorch, der bei seinem jährlichen Vogelzug nach Afrika durch einen Jagdpfeil verletzt wird – und dennoch den Rückflug nach Europa erfolgreich bewältigt. Neben dem 1822 auf Schloss Bothmer bei Klütz aufgefundenen Exemplar wurden bis heute etwa 25 Pfeilstörche registriert.

Der Rostocker Pfeilstorch kann in der Zoologischen Sammlung Rostock besichtigt werden. Er befindet sich im Erdgeschoss des Instituts für Biowissenschaften der Universität Rostock, direkt im Herzen der Altstadt am Universitätsplatz.

Der Ausstellungsraum ist montags bis donnerstags von 10.00 bis 16.00 Uhr und freitags von 10.00 bis 14.00 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Kategorien